Das verlorene Land
ordentlichen Gewinn bringen, von dem sie sich ein neues schickes Boot kaufen konnten, um wieder aufs Meer zu fahren. Ganz bestimmt würde Julianne Balwyn sich nicht dazu herablassen, den Rest ihres Lebens als Trümmerfrau in New York herumzuackern.
Der kleine Konvoi der Busse und ihrer aus Geländewagen bestehenden Eskorte erreichte das Hotel, nachdem sie jedes Schlagloch und jedes Hindernis auf der Straße genommen
hatten. Vor dem Effekt war das Tribeca Hotel mit seiner schlichten modernen Fassade ein Luxus-Etablissement gewesen. So gesehen war es nicht gerade der ideale Ort, um eine raubeinige Horde von Arbeitern zu beherbergen, aber es lag mitten in der Grünen Zone und wurde von der Army und privaten Sicherheitsfirmen – Söldnern, wenn man sie exakt bezeichnen wollte – geschützt und besaß einen eigenen Dieselgenerator zur Stromerzeugung. Zwei bärtige Wächter mit M-4-Gewehren standen vor dem Eingang. Sie trugen teure Sonnenbrillen, die sie in irgendeiner Luxusboutique gefunden hatten. Die Ecke, die sie bewachten, war eine Oase im Vergleich zu den brutalen Verhältnissen, die in den meisten Gegenden der Stadt herrschten.
»Trinken wir später was?«, fragte Rhino, als sie sich ins Foyer drängten.
»Erst ein Bad, dann Abendessen, dann einen Drink«, sagte Julianne. »Ich bin fix und fertig.«
Sie trennten sich bei den Aufzügen, wo Julianne den Knopf für den vierten Stock drückte, der den Frauen vorbehalten war. Natürlich waren sie allesamt erwachsene Menschen, und es gab keine Vorschriften, wie sie sich zueinander verhalten sollten, aber Lewis Graham, der Leiter der Sicherheitsabteilung, hatte auf dieser Regelung bestanden, und Julianne war ganz froh darüber. Die Arbeiter der Aufräumtruppe waren nicht gerade Typen, die die Umgangsformen englischer Lords verinnerlicht hatten, und sie hatte keine Lust, ihr Zimmer gegen nächtliche Überfälle betrunkener Gorillas verteidigen zu müssen, nur weil die glaubten, sie müssten ihre Zuneigung beweisen.
Sie ging durch den Korridor auf ihr Zimmer zu. Hinter ihr traten weitere Frauen, die für die Abbruchfirma arbeiteten, aus einem zweiten Aufzug. Sie lachten und tratschten über die Verabredungen, die sie für später getroffen hatten. Jules hatte keine Lust, sich mit ihnen zu unterhalten,
und war froh, als sie ihr Zimmer erreichte, ohne von den anderen eingeladen zu werden. Sie schob die Tür mit dem Fuß zu und ging nach links ins Badezimmer, wo sie sich sofort auszog und heißes Wasser in die Wanne laufen ließ. Ein Schaumbad und ein Glas Brandy würde ihren schmerzenden Muskeln guttun.
Ihre Fußsohlen taten weh, als sie sie ins Wasser setzte, und ihre Beinmuskeln fühlten sich an, als würden sie sich jeden Moment verkrampfen, aber das heiße Bad und der Alkohol lockerten die Fasern und halfen ihr, die unangenehmen Gedanken zu vertreiben und sich auf das zu konzentrieren, weshalb sie nach New York gekommen war. Mit dem anstrengenden Leben eines weiblichen Bauarbeiters hatte das alles nichts zu tun.
»Oha, Miss Jules, und ich dachte schon, Sie hätten mich sitzengelassen.«
Rhino hatte ihnen einen Tisch in einer der ruhigeren Ecken des Speisesaals des Hotels gesichert und spülte nun den Rest seines Cheeseburgers mit Fritten mit einer Flasche Bier herunter. Sie kannte die Sorte nicht und fragte sich, ob die Flasche wohl aus den alten Vorräten des Hotels stammte.
»Was trinkst du denn da?«, fragte sie.
»Tja, das ist eine traurige Geschichte, Miss Julianne. Dies hier ist die letzte übrig gebliebene Flasche der berühmten, leider nicht mehr existenten Dogfish-Brauerei. Viermal mehr Stammwürze, zwanzigmal mehr Hopfen und hundertmal besser als die Katzenpisse, die sich Bud nennt.«
»Rhino, ich hätte nie gedacht, dass du ein Bier-Snob bist. Solche Edelmarken sind doch eher was für Schwule, oder?«, fragte Jules und setzte sich zu ihm.
Rhino machte eine ziemliche Show daraus, sie finster anzustarren, bevor er den Rest seines Biers hinunterkippte.
»Dieses Gebräu hier hat so einen hohen Alkoholgehalt, dass Sie Ihr altes Boot damit hätten antreiben können, wenn diese Idioten in Sydney es Ihnen nicht weggenommen hätten.«
»Erinnere mich bloß nicht daran«, sagte sie müde. Eine Kellnerin trat an den Tisch, eine junge Frau in der gestärkten Kampfmontur von Schimmel’s Manhattan Constabulary, einer der hiesigen Milizeinheiten. Wie die gesamte Grüne Zone stand das Hotel offiziell unter der Verwaltung des New Yorker
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