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Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Birmingham
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Sicherlich war dies die größte Metropole
der Amerikaner gewesen, aber dennoch nur eine von Hunderten, wie ein Lehrer im Ausbildungslager erklärt hatte. Er fragte sich, wie Gott es zulassen konnte, dass die Ungläubigen so erfolgreich waren, bevor er sie endlich in ihre Schranken verwies. Aber vielleicht war das ja gerade die Botschaft an die Rechtschaffenen wie auch an die Bösen, dachte er, während er an den Überresten einer Anlage am Ufer des Flusses vorbeidriftete, die wohl einmal ein florierender Hafen gewesen war. Wundersamerweise lagen dort immer noch eine ganze Reihe von Segelschiffen vor Anker. Andere waren aus dem Wasser geschleudert worden, wahrscheinlich während eines Sturms, und lagen demoliert auf den zerstörten, mit Schrott und Unrat übersäten Kaianlagen. Andere Boote waren halb untergegangen, und ihre Masten sahen aus der Ferne aus wie geknickte Streichhölzer. Während er das alles betrachtete, stieß etwas gegen seinen Kopf.
    Yusuf befand sich jetzt am Rand einer großen Menge von herumschwimmendem Müll und Abfall. Einiges davon war natürlichen Ursprungs. Große Äste, sogar ein oder zwei ganze Bäume, die aussahen, als wären sie mitsamt den Wurzeln aus der Erde gerissen worden. In den Zweigen hatte sich Schilf verfangen und jede Menge Gestrüpp und vergammelte Blätter. Dazwischen schwammen Auto-und Lastwagenreifen, verschiedene Sorten kaputter Möbel, eine schier unendliche Menge von Plastiktüten, einige davon leer, während andere prallgefüllt mit unsichtbaren Sachen waren. Er verzog das Gesicht vor Ekel, als er merkte, dass ein Teil dieser schwimmenden Insel aus Leichen bestand. Viele der toten Körper waren menschlich, aber nicht alle. Als ein großer, durchsichtiger Plastiksack mit kleinen weißen Plastikkügelchen vorbeitrieb, fasste Yusuf danach und probierte ihn aus. Er schwamm wesentlich besser als der schlaffe Basketball, und man konnte sich viel bequemer darauf legen. Er ließ den Ball
los und legte sich auf den Beutel, auf dem in verblassten roten Buchstaben die Aufschrift »Sitzsack-Füllung« zu lesen war.
    Er wollte sich nicht von der schwimmenden Insel einfangen lassen und am liebsten so weit wie möglich von den ganzen Leichen wegkommen. Er erschauerte, als er den toten Körper eines Wildschweins nur wenige Meter neben sich entdeckte. Die Ansammlung von herumdümpelndem Unrat war so groß, dass es eine ganze Weile dauerte, bis es ihm mit einer großen Anstrengung gelang, sich davon zu lösen und den sachten, aber deutlich spürbaren Wirbel zu verlassen, um den der ganze Schrott kreiste.
    Danach musste er lange Zeit weiterschwimmen, und seine Angst wuchs, je weiter er sich von Ellis Island wegbewegte. Er kannte einige Teile von Manhattan sehr gut, weil er auf dem Schiff nach Amerika die taktischen Landkarten studiert hatte. Sein Ausbilder hatten ihn dazu verdonnert, das Raster der Straßen, in denen sie kämpfen würden, auswendig zu lernen. In dieser Gegend, viel weiter unten und dann auch noch mitten auf dem Fluss, hatte er große Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Abgesehen davon, dass er auf einem der Flüsse trieb, die sich auf beiden Seiten von Manhattan erstreckten, hatte Yusuf keine Ahnung, wo er war und wie er ins Lager des Emirs zurückkam. Er musste eine bekannte Stelle finden, um herauszufinden, wo genau er sich befand. Er legte den Kopf auf das Plastikkissen und sah die glatten Wände der Hochhäuser hinauf, an denen er vorbeischwamm. Viele waren ausgebrannt, manche sahen aus, als könnten sie jeden Moment in sich zusammenfallen. An einem bestimmten Punkt, als er an einer Reihe von Landungsbrücken vorbeikam, entdeckte er einen gigantischen Wolkenkratzer, der sich zur Seite neigte und sich praktisch auf einem anderen Hochhaus abstützte und mit ihm zusammen ein sehr wackelig aussehendes umgedrehtes »V« bildete. Darunter würde man
bestimmt nicht gern durchlaufen, wenn man nur halbwegs bei Verstand war.
    Aber Yusuf würde ohnehin nie in diesen Teil der Stadt gehen. Sein unvollständiges, aber immerhin ansatzweise vorhandenes Wissen von der Geografie der Insel ließ ihn zu dem Schluss kommen, dass er gerade eine Gegend passierte, die von mehreren Banden aus Osteuropa, größtenteils Russen und Serben, umkämpft wurde. Er hatte schon viel von diesen Leuten gehört, die mit roher Gewalt gegen die Rechtgläubigen vorgingen. Es sprach Bände, dachte Yusuf, dass der Emir sich entschlossen hatte, zunächst die Amerikaner aus ihrer eigenen Stadt zu vertreiben,

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