Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Birmingham
Vom Netzwerk:
Mach es einfach genau wie ein Tiger, Junge.
    Die Erinnerung daran kam zurück wie eine Heimsuchung aus der Hölle. Der warme, süßliche, metallische Geschmack des Blutes. Der zähe, fast schon knorpelige Muskel, die Fleischfetzen in seinem Mund. Wie sich seine Kehle zuschnürte, als würde eine eiserne Hand sie zudrücken. Aus einer krankhaft gnädigen Laune heraus erlaubte Kono ihm schließlich, sein Werk mit der Machete zu Ende zu bringen. Leider musste er viel zu oft zuschlagen,
und als er endlich fertig war, schrie der arme kleine Yusuf lauter als der alte Mann, dessen Bein abgetrennt worden war.
    Kläglich vor sich hin jammernd schwamm er nun auf das Ufer zu, und es war ihm egal, ob irgendjemand ihn hier im Wasser entdeckte oder nicht. Er wollte so schnell wie möglich aus diesem Fluss heraus, ans Ufer, sich irgendwie zum Lager des Emirs durchschlagen und dort um Vergebung bitten oder darum, die gerechte göttliche Strafe zu bekommen. Die Strömung war jetzt sehr stark, und er wurde noch einen oder zwei Kilometer weitergetrieben, bevor er nahe genug ans Flussufer kam, um herausklettern zu können. In diesem Moment tauchte etwas Unerwartetes in seinem Blickfeld auf, und eine lähmende Angst überfiel ihn. Eines dieser großen amerikanischen Kriegsschiffe, von denen sie ihre Hubschrauber und Kampfjets aufsteigen ließen, um der ganzen Welt ihren Willen aufzuzwingen, lag direkt vor ihm. Einige Sekunden lang fürchtete er, er würde direkt dagegengetrieben und könnte jeden Moment gefangen werden. Aber dann stellte er überrascht und beschämt fest, dass er sich ins Bockshorn hatte jagen lassen. Ein zweiter Blick zeigte ihm, um was es sich wirklich handelte.
    Der Flugzeugträger rostete vor sich hin und neigte sich so sehr zur Seite, dass er sich fragte, ob man überhaupt noch über dieses breite Deck laufen konnte, ohne abzurutschen. Die Ketten, die die Flugzeuge hielten, waren teilweise zerborsten, einige Maschinen hatten sich losgerissen, waren zur Seite gerutscht und über den Rand auf einen darunterliegenden Frachtkahn gestürzt. An dieser Stelle türmten sich die ineinander verkeilten Wracks übereinander, Kampfjets und Helikopter und etwas, das so eigenartig verdreht aussah, dass es sich eigentlich nur um ein Raumschiff handeln konnte, oder wie ein riesiger weißer Teller … eine fliegende Untertasse nannte man diese
Dinger doch. Das hier war so verbogen, als wäre es aus billigem Plastik oder aus Pappe gemacht.
    War von diesem Schiff nicht gesprochen worden, als man sie in die Pläne eingeweiht hatte? Es war ein Museum des Dschihad für die Amerikaner gewesen. Selbst wenn es sehr weit vom Lager des Emirs entfernt lag, war er sich ziemlich sicher, dass er von dieser Stelle aus die Insel durchqueren und das Gebiet seiner Truppe erreichen konnte. Er ruderte heftiger mit den Beinen und manövrierte um die vielen dahintreibenden Schrottteile, die das Hafenbecken zwischen dem verrosteten Kriegsschiff und der Hafenanlage verschmutzten. Vorsichtig schob sich Yusuf zwischen trügerischen Untiefen hindurch, wo scharfe, zerklüftete Metallteile unter der Oberfläche lauerten. Er schwamm auf eine kleine Anlegestelle zu, hielt sich am Rand fest und merkte, dass seine Beine schon so schwach waren, dass sie ihn kaum noch trugen. Er hatte Glück. Entweder war die Pier nach unten gesunken, oder der Wasserpegel war in den letzten Jahren gestiegen, jedenfalls reichte er jetzt bis zur Oberkante des Kais. Yusuf zog sich nach oben, was weniger schwierig war, als sich aufzurichten und den Entschluss zu fassen, nun den langen, gefährlichen Weg quer durch die Stadt einzuschlagen.

11
    Seattle
    Sie liebte den Markt am Pike Place, weil es dort immer so lebhaft zuging. Es war ein buntes Treiben, in dem man sich verlieren und für einen Moment vergessen konnte, dass die Welt den Bach runtergegangen war. Der starke Duft von Gewürzen und Kaffee hing in der Luft und mischte sich mit dem unverwechselbaren salzigen Geruch von frischem Fisch und Meeresfrüchten. Einige der neu eröffneten Fanggründe vor der kalifornischen Küste wurden wieder befischt. Jedes Mal, wenn sie auf den Markt kam, tauchten neue Produkte aus den kürzlich noch verwilderten Teilen der Vereinigten Staaten auf. Angefangen hatte es mit Kartoffeln aus Idaho. Vor einem Stand hielt sie an und sah sich die Vidalia-Zwiebeln aus Missouri an. Beinahe konnte man meinen, die vernichtende Energiewelle sei nur ein Hirngespinst gewesen, und die Hungerperiode hätte niemals

Weitere Kostenlose Bücher