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Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Birmingham
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Erfahrung gemacht, dass Leute wie er auch vor ihnen geschützt werden mussten.
    Der Pfad wurde breiter, und der Wald lichtete sich. Einige Minuten später konnten sie wieder auf die Pferde steigen. Sie folgten dem stark bewaldeten Ufer des Larrison Creek und ritten zwei Stunden lang schweigend weiter. Die einzigen Geräusche waren das Schnaufen der Hunde und das dumpfe Hufgetrappel ihrer Pferde auf dem mit Blättern übersäten weichen Waldboden. Kurz nach drei Uhr nachmittags gab er das Kommando zum Halten, damit sie sich zehn Minuten ausruhen konnten. Er hatte
das Dröhnen eines Hubschraubers gehört, der irgendwo weiter südlich unterwegs war, aber das Geräusch kam nicht näher. Schweigend saßen sie da, und er verzehrte ein paar von Mariellas Blaubeer-Keksen und trank von dem Wasser aus seiner Flasche. Sofia weigerte sich, etwas zu essen, aber er sah erleichtert, dass sie wenigstens etwas trank. Red Dog knurrte, als er das Geräusch in der Ferne hörte, aber Miguel befahl ihr, still zu sein.
    Die erste Herausforderung ihrer Flucht kam kurze Zeit später, als sie die breiten Fahrspuren der Route 21 überqueren mussten. Sie näherten sich dem Waldrand an einer Stelle, wo das rostige Wrack eines Pick-up im Straßengraben lag, nachdem der Wagen mit dem plötzlichen Verschwinden seines Fahrers vom Weg abgekommen war. Miguel hielt an und horchte eine Weile.
    »Setzt euch hin und wartet«, befahl er, und die beiden Hunde gehorchten. Wieder horchte er auf die Geräusche in der Umgebung.
    Sofia nahm ihre Remington ab und legte sie sich auf den Schoss, was Miguel gar nicht gefiel. Sie griff viel zu schnell nach ihrer Flinte, und er hatte schon mehrmals überlegt, ob er sie ihr nicht wegnehmen sollte. Aber er konnte sie nicht einfach schutzlos den möglichen Gefahren ausgesetzt lassen, und vielleicht war es ja besser, sie war übernervös als lethargisch und unaufmerksam.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragte sie und schaute sich um. »Hast du die Räuber entdeckt?«
    Er schüttelte den Kopf, machte aber eine Geste, dass sie still sein und horchen sollte. Aber da war nichts.
    Keine Hubschrauber.
    Keine Flugzeuge.
    Kein Verkehr.
    Nur das Rauschen des Windes in den feuchten Blättern des Wäldchens, das sie gerade durchquert hatten.

    »Es ist nichts«, sagte er ruhig. »Ich bin nur vorsichtig. Komm jetzt.«
    Sie überquerten hintereinander die Fahrbahn. Der Asphalt war aufgeplatzt, und in den Rissen sprossen kleine Pflänzchen. Das Klappern der Hufe auf dem harten Untergrund klang sehr laut nach den gedämpften Geräuschen im Wald. Einige Minuten später hatten sie die Straße überquert und tauchten wieder zwischen den Bäumen auf der anderen Seite unter. Der Rest des Tages verging ohne Zwischenfälle, und Miguel bekam eine Ahnung davon, wie menschenleer das Land war. Am frühen Abend passierten sie zwei Gehöfte und näherten sich dem Städtchen Leona. Die Sonne ging bereits unter, und nachdem er einige Minuten lang durch das Fernglas gespäht hatte, war er sich ziemlich sicher, dass die beiden Höfe verlassen waren. Nicht weil die Straßenräuber oder die TDF die neuen Siedler verjagt hatten, sondern weil deutlich zu sehen war, dass sie schon seit vielen Jahren nicht mehr bewirtschaftet wurden. Gräser und Büsche wuchsen überall mannshoch vor den Eingängen und Veranden. Das Dach des einen Hauses war offenbar durch einen Sturm stark beschädigt und danach nicht repariert worden. Das andere Wohnhaus wies deutliche Spuren eines kleinen Feuers auf, Teile der Mauern waren schwarz. Er fragte sich, wieso nicht das ganze Haus abgebrannt war, aber das war im Grunde genommen egal. Vielleicht hatte es ein Sprinklersystem gegeben, wie auch immer. Jetzt lebten dort nur noch Geister.
    Mit kurzem Zungenschnalzen und leichtem Ziehen an den Zügeln lenkte er sein Pferd neben das von Sofia. Auf ihrem staubbedeckten Gesicht waren frische Tränenspuren zu sehen, aber im Moment weinte sie nicht. Sie wirkte kalt und abwesend.
    »Ein Stück weiter können wir unser Lager aufschlagen«, versprach er. »Es ist nicht mehr weit bis zu einem kleinen Dorf. Dort sind wir sicher.«

    Sie antwortete nicht, sondern zuckte nur mit den Schultern.
    Als die Sonne im Westen versank, wirkte es, als würde sie größer werden. Sie leuchtete in einem unheilvoll intensiven Orange, und Miguel kam es vor, als würde er mitten hinein in die Hölle schauen. Lange schwarze Schatten erstreckten sich von dem letzten, wild wuchernden Waldstück aus über das Brachland

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