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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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wollte, daß sie alles sah, sogar das letzte Stück, selbst das. Sie steckte die hölzernen Augen in ihre Manteltasche. Sie nahm ihre Brille heraus, putzte sie an ihrem Kleid, und begann.
    Position 1: ein Kassenzettel.
    Gehörte (für kurze Zeit) entweder: 1 - einem Busschaffner; 2 -dem Helfer eines Erfinders; 3 - einer schwangeren Hausfrau; 4 -einem Polizisten; 5 - einer Stewardess; 6 - einem Rattenfänger; 7 - einem Straßenkehrer; 8 einem Trompeter; 9 - einer Kindergartenerzieherin; 10 einer Garderobenfrau; 11 - einem Taubenliebhaber; 12 einem Chefbibliothekar; 13 - einem Musikboxhersteller; 14 - einem Jungen, der Muttermord begangen hatte. (Alle oben genannten Möglichkeiten wurden äußerst gewissenhaft in Erwägung gezogen.)
    Anna las und betrachtete weiter. Irgendwann erreichte sie: Position 49: ein Liebesbrief.
    Ein schlecht geschriebener Brief eines Dienstmädchens an einen Kammerdiener, ursprünglich unter der Tür des Kammerdieners hindurchgeschoben, aber sichergestellt, bevor der Kammerdiener sowohl von seiner Existenz als auch von der Liebe des Dienstmädchens zu ihm erfuhr.
    Anna unterbrach sich, kauerte sich wieder hin:
    Position 110: ein tontinisches Tablett (Silber). Gelangte in den Besitz der Familie Orme durch eine Wette, die geschlossen wurde zwischen einem vor langer Zeit verstorbenen Francis Orme und seinen Freunden. Die Wette gewann, wer am längsten lebte. Francis Orme schaffte es. Wertvollster Besitz meines Großvaters, bewies er doch die Langlebigkeit seiner Familie. Wertvollster Besitz meines Vaters, weil sein Vater es so liebte.
    Anna rieb sich die Augen, putzte ihre Brille und fuhr fort: Position 163: ein in Maroquinleder gebundenes Buch (ein Band der Geschichte der Ormes). Vater entwendet, um ihn daran zu erinnern, daß manche Ormes noch leben.
    Anna sagte, sie wolle eine Pause machen, doch ich flehte sie an, weiterzulesen. Sie lächelte und sagte: Danke, daß du mir das alles zeigst, Francis. Mach weiter, flehte ich, du mußt bis zum Ende kommen.
    Position 238: ein Ballettschuh.
    Gehört der fetten kleinen Tochter (und vielversprechenden zukünftigen Ballerina) der mageren Eltern aus Wohnung 1.
    Anna putzte wieder ihre Brille. Mach weiter, sagte ich, hör nicht auf.
    Position 301: zwei Gehstöcke.
    Gehören dem Mann in Georges Café, der ohne sie nirgendwohin gehen konnte. Er musste George bitten, vom Telefon des Cafés aus einen Anruf machen zu dürfen und dann zwei Stunden warten, bis er von seiner klapprigen Frau abgeholt wurde (die unter Verwendung einer Gehhilfe eintraf, an die sie zwei Reservestöcke gehängt hatte).
    Anna sagte, ihre Augen brannten. Sie schlug vor, daß wir für eine Weile aufhörten, aber ich sagte, ich würde lieber weitermachen. Ich gab ihr noch eine Tablette.
    Position 353: zwei Perlenohrringe. Zuvor Eigentum des als Mr. Rechtwinkel bekannten Mannes aus Wohnung 7 und Beweis für die Existenz seiner Mutter.
    Anna sagte zu mir: Francis, hör endlich auf, nur ein verschwommener Flecken zu sein, komm ins Licht. Ich sagte: Ich stehe im Licht. Sie sagte: Ich kann dich nicht richtig sehen, was passiert mit mir? Ich sagte: Möchtest du nach oben? Sie sagte: Erst, wenn ich fertig bin.
    Position 380: eine Fernbedienung für einen Fernseher. Claire
    Higg, Wohnung 16, als sie gerade nicht hinschaute, als sie in die Küche ging, um mir eine Tasse Tee zu machen.
    Anna sagte, sie brauche eine Pause, sie könne sich nicht mehr konzentrieren. Wir gingen zum Ende des Tunnels und die Stufen hinauf.
    Wir sind wieder in der Kirche, sagte ich. Anna hielt sich an meinem Rücken fest, während wir die Kirche verließen.
    Wir setzten uns auf eine Bank im Tearsham Park Gardens. Anna sagte: Ist es wirklich Tag? Ist es wirklich hell? Ich sagte: Der Himmel hat einen traurig blauen Farbton. Sie sagte: Ich kann nichts sehen. Sie sagte: Ich kann überhaupt nichts mehr sehen. Wir kamen überein, daß Anna blind war.
    Anna hielt meinen Arm. Wir gingen hinein.
VI  KLEINE MENSCHEN
Die Philosophie des Mark Daniel Cooper
    Tagelang ließen sie mich nicht zu Anna. Claire Higg und Mutter kümmerten sich um sie, zogen sie an, fütterten sie, kämmten ihre Haare, badeten sie, lasen ihr Gutenachtgeschichten vor; zwei alte Frauen spielten mit einem blinden Mädchen wie mit einer Puppe. Es war ihnen lieber, wenn das blinde Mädchen nicht sprach, wenn das blinde Mädchen nur lächelte. Doch manchmal schrie das blinde Mädchen auch und wollte gar nicht mehr aufhören zu schreien.
    Jemand hatte meine

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