Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
still.
    Könntest du für mich das Fenster aufmachen? Ich brauche etwas frische Luft. Ist das erlaubt? Nur einen Spalt.
    Bitte schön und jetzt warte einfach ganz ruhig ab. Darf ich mich etwas näher ans Fenster stellen? Ist das erlaubt?
    Wenn sie verspricht, nicht zu reden. Versprichst du es? Ich werde still sein. Ich brauche nur etwas frische Luft.
    Doch in dem Moment, als Anna Tap vor dem Fester stand, stieß sie es weit auf, beugte sich hinaus und schrie: Hilfe! So hilf uns doch jemand! Wir sind hier oben eingeschlossen! Helft uns! Nachdem sie das hinausgebrüllt hatte, schien sie wieder ruhiger zu werden. Sie setzte sich auf ihren Stuhl, sie lächelte unscheinbar und wir setzten uns alle um sie herum und kuschten unserem unruhigen Atem. Wir rochen die frische, kühle Luft. Anna hatte unseren inneren Frieden zerstört. Nun wuchsen wir endlich wieder. Annas Schrei hatte uns etwas Hoffnung geschenkt, ihre Stimme war so laut, uns war nicht klar gewesen, dass wir jemanden unter uns hatten, der zu einer solchen Lautstärke fähig war. Wir waren so lange still gewesen, und jetzt konnten wir mit einem Mal die Stille nicht mehr länger ertragen.
    Claire Higg begann den Ton zu summen, der aus dem Fernseher kam, wenn Programmschluss war. Mutter fing an zu singen, ich begann das Gesetz der Weißen Handschuhe zu rezitieren, Anna fing an zu lachen. Nicht lange, und wir beugten uns alle aus dem
    Fenster, brüllten und sangen und pfiffen und kicherten.
    Als wir aber in der Ferne ein Klopfen hörten, verstummten wir und bekamen wieder Angst.
Unsere Retter
    Unsere Retter, es waren gleich mehrere, befanden sich auf der anderen Seite der Tür. Aber sie klangen so weit weg, als hätten sie sich in einem anderen Gebäude befunden. Sie brüllten, ob jemand da sei, und wir brüllten zurück: Ja, wir sind alle hier, Alice und Claire und Anna und Francis Orme.
    Unsere Retter antworteten, wir sollten von der Tür zurücktreten, sie würden sie jetzt aufbrechen. Tretet zurück. Geht weg.
    Sie schlugen die Tür ein, die stöhnte und knackte und schließlich nachgab. Dann sahen wir, was passiert war: Jemand hatte Kitt ins Schlüsselloch geschmiert, Gipskarton über unsere Tür genagelt und anschließend darrübertapeziert, damit es aussah wie eine Wand, so als existiere Wohnung 6 nicht. Unsere Retter hatten unsere Tür nur gefunden, weil die Tapete an dieser Stelle sauberer war als an anderen Stellen. Der Pförtner, der Pförtner hatte uns verbarrikadiert.
    Wir sahen unsere Retter. Es waren vier Männer. In identischen weißen Overalls. Sie trugen Plastikhelme. Über ihren Visieren verkündete ein Aufkleber: Abbruchexperten. Sie starrten uns verdutzt an. Wir starrten sie verdutzt an.
    Kommen Sie bitte mit nach unten. Warum? fragte Mutter.
    Ich denke, es wäre besser für Sie. Dann werden wir natürlich mitkommen.
    Sie führten uns die Treppe hinunter und durch die Eingangshalle. Plastikbänder mit dem Aufdruck GEFAHR -ABSTAND HALTEN und Schilder mit der Aufschrift ABBRUCHARBEITEN standen überall um das Observatorium herum. Absperrgitter aus Metall waren entlang der umliegenden Straßen aufgestellt, Holzbretter über die Fenster der Nachbarschaftshäuser genagelt worden. Es gab keinen Verkehr. Unzählige Menschen standen hinter den Absperrungen, bildeten einen Kreis um die Insel des Observatoriums: Die ganze Stadt war gekommen, um zuzusehen. Als die Schaulustigen uns sahen, jubelten sie. Es war uns peinlich: so viel Aufregung, und alles nur wegen uns. Die Menge schob und drängelte sogar, nur damit sie uns besser sehen konnte. Leute mit Fernsehkameras und Mikrophonen rannten über die leere Straße. Sie bombardierten uns mit Fragen. Wir beantworteten ihre Fragen nicht, da wir durch das Jubelgeschrei derart schockiert waren, dass wir vorübergehend vergaßen, wie man sprach. Aber wir lächelten in die Kameras. Ein Mann in einem braunen Anzug und mit einer Klemmmappe in der Hand steuerte auf uns zu. Wir erkannten in ihm sofort einen der älteren Abbruchexperten, die wir im Gespräch mit dem Pförtner gesehen hatten. Er berichtete, unser ganzes Haus sei gründlich abgesucht worden, man habe aber niemanden mehr gefunden. Wo wir uns denn versteckt hätten? Wir sagten, wir hätten uns nicht versteckt, der Pförtner hatte uns verstecken wollen. Er sagte, wir könnten auf gar keinen Fall mehr zurück ins Observatorium. Er könne den Terminplan jetzt unmöglich noch ändern, die Polizei sei gerufen worden, der Verkehr sei angehalten und umgeleitet

Weitere Kostenlose Bücher