Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
diese Pause sprang Claire Higg, nutzte dieses kurze Schweigen, um es mit sich selbst zu füllen. Sie erinnerte sich an eine Zeit, als sie in der Hauptstadt unseres Landes lebte und arbeitete. Sie arbeitete in einem großen Kaufhaus, dem größten, erinnerte sie sich, das es gab. Sie war stolz auf ihren Arbeitgeber, sie hatte dort dreiundzwanzig Jahre gearbeitet und in diesen dreiundzwanzig Jahren hatte sie die kontinuierliche Steigerung von Beliebtheit und Marktanteilen des Kaufhauses miterlebt. Sie arbeitete in der Strumpfabteilung. Sie verkaufte Strümpfe, Strumpfhalter und Strumpfhosen. Sie erinnerte sich, daß sie nur ein recht begrenztes Warensortiment zu verkaufen hatte, als sie in der Strumpfabteilung anfing. Hauptsächlich verkaufte sie Strumpfhosen aus Nylon, Wolle und Seide. Damals waren ihre Kunden in erster Linie Frauen ihres Alters, die vernünftige Kleidungsstücke kaufen wollten. Dann änderte sich der Geschmack und sie musste anfangen, auch andere Artikel zu verkaufen. Ihrer Meinung nach handelte es sich dabei um recht häßliche Dinge, besonders die aus rotem Satin. Sie erinnerte sich, wie auch ihre Kundschaft sich änderte. Mit einem Mal schienen sie weniger vernünftig zu sein, eher leichtfertig; nicht unbedingt jünger, aber mit mehr Busen und Makeup.
    Mit der Zeit kam ihr in den Sinn, daß sie den sexuellen Abenteuern der Menschen in unserer Hauptstadt Vorschub leistete. Das stimmte sie traurig. Ganz besonders erschütterte es sie, wenn Männer kamen, um diese ihrer Meinung nach lächerlichen Sachen mit Schnallen, Laschen und Klammern zu kaufen. Claire Higg fühlte sich mehr und mehr erniedrigt, da die Dinge, die zu verkaufen sie gezwungen war, immer erotischer wurden, denn Claire Higg hatte nur wenig Sinn für Erotik. Mit der Zeit gelangten die Inhaber des Kaufhauses zu der Ansicht, daß Claire Higg potentielle Kunden der Strumpfabteilung abschreckte; ihre verschüchterte, recht verzweifelte Ausstrahlung, ihr magerer, wenig überzeugender Körper trugen nicht zur Absatzsteigerung bei. Man ließ sie gehen, gab ihr einen Scheck. Und mit diesem Geld sowie einem Teil ihrer Ersparnisse kaufte sich Claire eine Wohnung außerhalb der Hauptstadt, die sie zunehmend verwirrte. Sie zog in eine kleinere, hoffentlich nettere Stadt, von der sie wünschte, daß sie sich dort wohler fühlen werde. Sie kaufte Wohnung Nummer 16 in einem alten Gebäude, das erst kurz zuvor in Eigentumswohnungen aufgeteilt worden war, ein Gebäude, welches »Das Observatorium« genannt wurde.
Zwanzig erinnerte sich (3)
    Claire Higg war sehr traurig, nachdem sie all dies erzählt hatte, und die Stimmung oben in Wohnung 16 wurde melancholisch, bis Zwanzig, der Miss Higgs Geschichte nicht übersetzt worden war, plötzlich loslachte (worauf Miss Higg zutiefst gekränkt reagierte). Sie erinnerte sich daran, daß sie sich nach ihrer Kopfverletzung an absolut nichts mehr erinnern konnte. Sie erinnerte sich daran, daß sich in ihren Taschen nichts befand, was etwas über ihre Identität aussagen konnte; außer einer Dogge, die ein Halsband trug mit einem Namensschildchen, auf dem MAX eingraviert war, besaß sie nichts, was ihr auch nur den kleinsten Hinweis auf ihr Leben vor der Kopfverletzung hätte geben können.
Der Pförtner erinnerte sich
    Und anderswo im Observatorium erinnerte sich der Pförtner während er über die neue Zwanzig sinnierte, die er einige Zeit zuvor gesehen hatte, jetzt sauber und gewaschen, dass er einmal versucht hatte, Zwanzig in ihrem ungewaschenen Zustand aus Wohnung Nummer 20 zu entfernen. Und er erinnerte sich, daß sie ihn gebissen hatte. Er reinigte die Wunde, so erinnerte er sich und aufgrund seiner hygienischen Anstrengungen war kein Andenken dort zurückgeblieben, wo Zwanzigs Zähne sich in seine getüpfelte Haut gegraben hatten. Und wie er in seinen Erinnerungen die alte, schmutzige Zwanzig das Observatorium betreten sah, wurden andere Erinnerungen an andere Bewohner wachgerufen. Diese anderen Bewohner, diejenigen, an die er sich gern erinnerte, waren heute allesamt fort. Sie hatten, so erinnerte er sich, eine gewisse Klasse besessen, waren sauber und gepflegt gewesen. Und dies wiederum ließ ihn traurig an jene Zeit zurückdenken, als das Observatorium noch voller Menschen gewesen war, als alle vierundzwanzig Wohnungen belegt gewesen waren. Damals galt das Observatorium als eine attraktive Adresse, es war nur kurze Zeit, nachdem er seinen Namen in Pförtner geändert hatte. Er erinnerte sich mit Wehmut

Weitere Kostenlose Bücher