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Das verlorene Observatorium

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Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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bemühen uns, mehr herauszufinden. Sie ist sehr auf Anna fixiert, sagt kein Wort, solange sie nicht da ist. Sie leckt ihr immer wieder das Gesicht und die Hände ab, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet und sie winselt, wenn Anna nicht im Zimmer ist. Ich bin nur kurz heruntergekommen, um es dir zu sagen. Ich gehe jetzt wieder nach oben, sie sind jetzt bestimmt fertig. Anna und Claire haben sie gewaschen, sie war in einem schrecklichen Zustand. Sie riecht etwas streng, aber dagegen läßt sich etwas unternehmen.
    Und das Schloß?
    Ach, ja. Das Schloß. Es tut mir leid, Francis. Kurz nachdem du zur Arbeit gegangen bist, klopfte jemand an meine Tür. Ich machte auf. Da stand der Pförtner mit Miss Tap. Der Pförtner zischte und sagte: Geben Sie mir den Schlüssel zu dem neuen Schloß an der Tür von Wohnung 18.
    Sie haben doch hoffentlich bestritten, ihn zu haben.
    Nein. Ich habe ihm den Schlüssel gegeben. Dann sagte er: Geben Sie mir das alte Schloß der Tür von Wohnung 18. Das Sprechen schien ihm irgendwie schwerzufallen. Seine Sätze waren, glaube ich, einstudiert.
    Sie haben doch hoffentlich darauf bestanden, das alte Schloß nicht zu haben.
    Nein. Ich habe ihm das Schloß gegeben. Du weißt, wie sehr ich körperliche Gewalt verabscheue. Und die Gefahr bestand definitiv. Ich schwitzte stark und weinte viel.
    Sir!
    Der Pförtner nahm den Schlüssel und das Schloß und ging.
    Es ist sinnlos!
    Miss Tap blieb noch und richtete ein paar ruhige Worte an mich. Haben Sie die Sachen in meiner Wohnung umgestellt? Habe ich. Versprechen Sie mir, so etwas nie wieder zu tun? Versprach ich. Vielen Dank, sagte sie und schickte sich an zu gehen. Ich versuchte noch, etwas zu sagen, so was wie eine Entschuldigung vorzubringen. Sie drehte sich um und sagte, recht freundlich, wie ich mich entsinne, Ich möchte kein Wort mehr hören. Wir vergessen die Sache einfach. Es ist nie passiert. Außerdem bin ich überzeugt, daß Sie dazu angestiftet wurden. Auf Wiedersehen, sagte sie, und ging. Später kam sie dann wieder, um sich nach meinen Fremdsprachenkenntnissen zu erkundigen. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, Francis, jetzt nicht mehr, nachdem sich diese Sache mit der Frau aus Nummer 20 ergeben hat. Ich wußte, es würde dir nichts ausmachen. Diese ganze Sache mit den Schlössern und Schlüsseln erscheint plötzlich doch recht belanglos, findest du nicht auch?
    Es erschien mir nun höchst unwahrscheinlich, daß Miss Anna Taps Aufenthalt in Wohnung 18 nur von vorübergehender Dauer war. Mit ihrer Ankunft brach im Observatorium eine neue Zeit an. Genau wie bei der Ankunft Christi, welche eine neue Zeitrechnung zur Folge hatte, aus v. Chr. wurde n. Chr. Anna Taps Ankunft und Anwesenheit hatte die traurigen Jahre der Bewohner des Observatoriums in Vergessenheit geraten lassen und dabei, vielleicht unbeabsichtigt, ein Inferno entfesselt. Im Gegensatz zu Christus war Anna Tap nämlich ein Amateur in Sachen Zeitbeherrschung, sie war nie in der Lage, uns auf die eigenen Beine zu stellen und zu sagen: Vergeßt die Vergangenheit, laßt uns mit der Gegenwart anfangen und von hier aus weitergehen. Nein, das konnte sie nicht, statt dessen schleuderte sie uns zurück in unsere Vergangenheit.
    Ich ging zeitig zu Bett.
    Dieses Weiß.
    Diese Baumwolle.
    Ich schlief, während über mir flatternd Erinnerungen erwachten.
III  DIE VIER GEGENSTÄNDE
Die Zeit der Erinnerungen
    Nun brach eine Zeit an, die auch die Zeit der Erinnerungen genannt wurde, eine merkwürdige Zeit, in der wir Bewohner des Observatoriums gezwungen waren, jene Lebenserinnerungen aufzunehmen, die ein jeder von uns aussandte, um an die Tür der anderen zu klopfen, um durch unsere Zimmer zu fliegen, um unsere Nasenlöcher hinaufzuschwimmen, während wir schliefen. Während dieser Zeit waren überall Erinnerungen, sie lauerten mit schmachtendem Blick oder lustlos mit unverbrauchter Energie, bettelten um Aufmerksamkeit auf Türklinken, auf Fensterbänken, auf Kopfteilen von Betten. Wir konnten sie nicht ignorieren, wir lauschten ihnen, wir tranken sie, wir schluckten sie und trotzdem wollten sie nicht wieder gehen. In dieser mit unseren Erinnerungen gefüllten Zeit war es schwer, die Gegenwart wahrzunehmen. Wir wußten nicht, wie spät es war oder welcher Tag, manche von uns suchten sogar nach dem Namen des Monats. Während der Zeit der Erinnerungen sahen wir unsere Zimmer, unser Hab und Gut, uns selbst durch die Wolken der Geschichte wabern. Keinem Gegenstand konnte man trauen, denn

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