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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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durchaus möglich, daß Du dies bei Deinem ehemaligen Hauslehrer nicht bemerkt hast oder daß Du einfach so freundlich warst, kein Wort darüber zu verlieren. Der Name des Jungen war Alexander Mead. Wir waren Freunde. Er war mit Abstand mein intelligentester Schüler. Davon abgesehen, spielten wir nach Schulschluß immer zusammen Dame, Flohhüpfen oder Murmeln. Er war der beste und treueste Freund, den ich in meinem ganzen Leben hatte. Außerhalb des Unterrichts nannte er mich Peter. Wir standen uns sehr nahe. Ich wollte, daß er erwachsen wurde und er wollte, daß ich wieder Kind wurde. Aber es gelang uns auch so, über den Altersunterschied hinweg eine bedeutsame und gehaltvolle Beziehung aufzubauen. Eines Tages war er während des Unterrichts so in das Thema verrieft, das ich gerade unterrichtete, daß er mich Peter nannte anstatt Sir. Die Klasse verstummte und wartete auf meine Reaktion. Was konnte ich tun? Ich konnte ihm diese Vertraulichkeit nicht ungestraft durchgehen lassen. Ich mußte etwas tun. Und die Klasse lechzte nach Blut. Alexander sah so verängstigt, so zerbrechlich aus. Ich nahm Chiron heraus und schlug ihn ununterbrochen für fünf Minuten auf die Knöchel, auf den Kopf, auf die Rippen. Ich mußte es tun, es war eine Frage des Überlebens; ein Lehrer darf sich vor versammelter Klasse niemals von einem Schüler mit Vornamen ansprechen lassen. Das ist respektlos. Er mußte bestraft werden. Wenn ich ihn nicht geschlagen hätte, und zwar hart geschlagen hätte und wiederholt geschlagen hätte, dann wäre ich das Opfer gewesen. Die Klasse hätte einen Keim von Schwäche in mir gesehen und somit hätte ich meine Autorität verloren; die Schüler hätten angefangen, ungehorsam zu werden und sich über mich lustig zu machen. Ich mußte ihn schlagen, und mit jedem Schlag zerfiel unsere Freundschaft ein Stück mehr, nach fünf Minuten war sie tot. Nach dem Unterricht versuchte ich, mit ihm zu reden, aber die Tür seines Zimmers war abgeschlossen und er gab keinen Laut von sich. Als er am folgenden Morgen nicht zum Unterricht erschien, schickte ich jemanden nach ihm. Die Tür war immer noch abgeschlossen. Sie wurde gewaltsam geöffnet. Der Junge hatte sich mit einer Schulkrawatte erhängt. In den Wochen nach seinem Tod fand ich in meinem Zimmer viele zu Schlingen gebundene Schulkrawatten, zwischen den Büchern, in Schränken und Schubladen, in meinem Bad und einmal sogar in meinem Essen. Ich erfuhr nie, welcher meiner anderen Schüler sich dieser unangenehmen Aufgabe angenommen hatte, ich begriff nur, daß es mehrere sein mußten. Es schien für mich auf der Hand zu liegen, daß sie mir die Verantwortung für den Tod des Jungen gaben. Unter solchen Bedingungen konnte ich nicht mehr unterrichten und verließ daher die Schule, auch wenn ich zugeben muß, daß der Direktor durchaus nicht traurig war, mich gehen zu sehen.
    Ich scheue mich zu sagen, daß es die Erinnerung an diese Krawatten war, die mich gestern zum Mißbrauch Deiner Handschuhsammlung inspiriert hat.
    Ich hinterlasse Dir, dem einzigen Schüler, der stets zu mir gestanden hat, meine Büchersammlung. Du wirst feststellen, daß sie sich ein wenig verringert hat seit unserem gemeinsamen Unterricht in Tearsham Park. Ich mußte viele von ihnen zugunsten leiblicher Bedürfnisse verkaufen. Unter ihnen findest Du die verschiedenen, von meinem Vater verfaßten Bücher. Was die Photographie meines Vaters anbelangt, sei bitte so gut und lege sie mir ins Grab. Die Krawatte, die wahrscheinlich zerschnitten wurde, wenn Du dies hier liest, vertraue ich Dir an, da ich weiß, daß du eine große Sammelleidenschaft für gewisse Dinge besitzt, die anderen Menschen lieb und teuer sind. Der Hals, um den sie das erste Mal gebunden wurde, war mir in der Tat lieb und teuer. Sollte sich Dein Vater jemals von seiner Krankheit losmachen können, richte ihm bitte meine tief empfundene Dankbarkeit für die Rente aus, die mir so viele Jahre zu gewähren er die Güte besaß. Ich bin zu Alexander Mead gegangen, um mich zu entschuldigen, bleibe aber, im Leben wie im Tod,
    Dein Hauslehrer Peter Bugg
    PS: Weißt Du, wo Chiron ist?
An Claire
    Meine liebe Claire, ich hoffe sehr, daß Sie es mir nicht übelnehmen, wenn ich Sie auf diese vertrauliche Art anspreche, aber nie bin ich einer Frau nähergekommen als Ihnen. Ich muß gestehen, und ich hoffe, es wird Sie nicht zu sehr bestürzen (falls doch, versuchen Sie bitte, mir zu verzeihen), daß ich schon seit mehreren Jahren, ich weiß

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