Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
in den Wahnsinn, denn falls dort eine Seuche ausbrach, fegte sie ruck zuck auch über das Regiment hinweg. Emil fand, dass die Gründe leicht zu benennen waren.
Die Suzdalier entnahmen ihr Wasser dem Neiper und der Wina, die an der Nordmauer der Unterstadt vorbeifloss. Das Problem bestand darin, dass die verdammten Idioten ihre Abwässer ungefiltert hineinleiteten. Da sich die Stadt auf einer Reihe kleiner Hügel über den beiden Flüssen erhob, war es umso schwerer, das Wasser zu den Häusern hinaufzuleiten. Die meisten Menschen verließen sich auf von Hand gegrabene Brunnen, und zu Emils Entsetzen lagen ihre Abwasserleitungen und Sickergruben häufig nur ein halbes Dutzend Schritte davon entfernt.
Seine Vorhersagen zu Krankheitsfallen im Regiment hatten sich bewahrheitet. Fast dreißig Jungs waren an Typhus und anderen Leiden erkrankt, und zwei ruhten in der Folge nun auf dem Friedhofshügel. Alle waren nach Besuchen in der Stadt krank geworden.
Und so blieb nur eine Lösung: einen Damm weiter oben an der Wina zu bauen und ihr frisches Wasser in der Schlucht zu stauen, wo man Hawthorne nach seiner Flucht gefunden hatte. Der Damm würde höher liegen als der höchste Hügel von Suzdal, und so konnte man das Wasser überallhin leiten, wo es gebraucht wurde. Natürlich hatte Emil kaum die Idee erwähnt, da sprang Ferguson schon auf dieses Projekt an, denn er entdeckte darin ein gewaltiges Potenzial an Wasserkraft.
Emil drehte sich um und blickte das Tal hinunter zum über sechs Kilometer entfernten Suzdal. Wie konnten diese Menschen nur eine solche Barbarei dulden? Er fluchte lautlos. Mittelalterliche Barbaren, sie alle! Verdammt, Andrew müsste eigentlich die Ogunquit beladen, seine Leute wie der Teufel hier wegbringen und die Suzdalier ihrem Gestank, ihren Krankheiten, ihrem kleinlichen Zank und den Tugaren überlassen.
»Ein schöner Platz, Sir«, sagte Ferguson und blickte zu den beiden anderen Männern hinauf. »Das wird eine Menge Arbeit machen. Ein zehn Meter hoher Damm, an der Basis zwanzig dick und nach oben verjüngt, und knapp zweihundert Meter lang – dafür werden über dreihundertachtzigtausend Kubikmeter Dammmaterial benötigt.«
»Nun, inwiefern zum Teufel ist das viel?«, wollte Emil wissen.
»Naja, hätten wir fünftausend Arbeitskräfte zur Verfügung, brauchten wir nach meiner Rechnung ein knappes halbes Jahr für die Fertigstellung. Aber eine Menge Kraft wird da oben gebunden sein. Zehntausende Pferdestärken.«
Und genug Wasser, um dieses Dreckloch so richtig sauber zu spülen, dachte Emil.
»Viele Männer, viel zu viele Männer!«, knurrte Iwor.
»Vielleicht könnte man da etwas arrangieren«, entgegnete Emil, sah Kal an und wartete auf die Übersetzung. »Wir brauchen natürlich den Platz für neue Mühlen, und ich bin sicher, dass Colonel Keane bereit wäre, mit Eisen oder anderen Produkten für die Arbeitskräfte zu zahlen.«
Iwor musterte Emil mit schlauer Miene, bereit zu einer harten Verhandlung. In diesem Augenblick läutete in der Ferne eine Glocke.
Iwor drehte sich im Sattel um und blickte hinüber. Eine weitere Glocke fiel ein, dann noch eine. Unbehaglich blickten sich Iwor und die Wachleute in seiner Begleitung um. Plötzlich deutete einer der Wachleute zur Flussstraße, deren Band man nördlich der Stadt sehen konnte.
Ameisenhafte Kreaturen schienen dort in hohem Tempo entlangzureiten. Iwor strengte sich an, etwas zu erkennen. Emil langte in seine Satteltasche, zog den Feldstecher hervor, hielt ihn vor die Augen und stellte ihn scharf.
»Lieber Gott!«, flüsterte er.
Nervös drehte sich Iwor zum Doktor um.
»Tugaren«, sagte Emil leise.
Der Bojar erbleichte, als könnte ihm dieses Wort einen Hieb versetzen. Er vergaß zunächst ganz, Emil zu fragen, woher er die Bezeichnung kannte.
Mit einem Aufschrei gab der dicke Bojar seinem Pferd die Sporen, und die Wachmannschaft fiel klappernd hinter ihm ein.
»Was macht denn alle so hektisch?«, wollte Ferguson wissen.
Emil sah Kal an.
»Wir sollten lieber hinunter«, flüsterte dieser.
»Ferguson, packen Sie Ihre Sachen zusammen. Reiten wir!«
Und Augenblicke später galoppierten sie bergab zur Stadt, wo alle Glocken läuteten und panische Schreie die Luft zerrissen.
Die Stadttore waren aufgerissen, und die entsetzten Bewohner säumten die Straßen und warfen sich wie ein Mann flach auf den Boden; niemand wagte den Blick zu heben.
Die tieftönigen Nargas, die Donnertrompeten der Tugaren, gaben ein messingklingendes
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