Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
sich in Träumen von einem ruhmvollen Umsturz, Kal, aber es ist hoffnungslos.«
»Aber Hawthorne hat uns von Ihrer Unabhängigkeitserklärung erzählt und davon, wie Bauern Edelleute besiegten und frei wurden.«
Andrew bedachte den Jungen mit vorwurfsvoller Miene. Der Corporal hatte Befehle missachtet, und Andrews Arger war erkennbar.
»Ich habe nur gesagt, was mir mein Gewissen aufgetragen hat«, wandte Hawthorne gelassen ein und verriet keine Furcht.
»Bei uns lagen die Dinge anders«, wandte sich Andrew wieder an Kal. »Wir hatten Gewehre, um damit gegen die Soldaten des Bojaren zu kämpfen. Wir hatten ein großes Land, hunderte Male größer als Rus. Und wir hatten Zeit -wir brauchten acht Jahre, um den Sieg zu erringen. Sie hier haben keine Waffen, keinen Platz, um sich zu verstecken, wenn Sie Schlachten verloren haben, und vor allem bleibt Ihnen keine Zeit. Denn selbst, wenn Sie die Adligen eine Zeit lang niederhalten könnten, kommen letztlich die Tugaren und zerschmettern Sie alle, Bauer und Edelmann.«
»Damit möchten Sie mir wohl sagen, dass ich erneut zusehen soll, wenn sie mein Volk zu den Gruben treiben.«
Andrew wusste darauf nichts zu sagen und wandte den Blick ab.
»Die einzige Alternative wäre, dass Sie alle sterben.«
»Ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen, Keane.«
»Ich wünschte, ich könnte helfen«, sagte Andrew, »aber das liegt jetzt bei meinen Männern.«
»Sie wissen gar nicht, was Sie hier vielleicht ausgelöst haben«, sagte Kal mit ruhiger Stimme. »Jedes Mal, wenn Ihre Soldaten Suzdal besuchten, jedes Mal, wenn ein Bauer mit Getreide zur Mühle kam, sah mein Volk, wie anders Sie alle sind. Die Leute kehrten nach Hause zurück und erzählten flüsternd von den seltsamen Yankees, die nicht unter der Fuchtel des Bojaren lebten. Und man darf Hawthorne nicht vorwerfen, was er erzählt hat, denn all das kursierte bereits im Flüsterton überall in Suzdal und auch bis Wasima, ja sogar bis Nowrod.«
»Falls meine Männer dafür stimmen, gehen wir fort«, beharrte Andrew leise. »Kämpfen Sie nicht gegen die Bojaren; und selbst falls wir bleiben, möchte ich nicht, dass Ihr Blut an meinen Fingern klebt. Falls wir den Tugaren gegenüberstehen und die Bojaren nicht an unserer Seite sind, dann tun wir es halt allein.«
Andrew stand auf, als wollte er gehen.
»Wir müssen noch über einen letzten Punkt sprechen«, sagte Kal rasch.
»Und der wäre?«
»Sie werden mich nicht wiedersehen«, sagte er.
»Warum nicht?« Besorgnis machte sich in Andrews Gesicht breit.
»Heute Morgen hat mich eine Nachricht erreicht. Mir wurde befohlen, an Iwors Hof zurückzukehren.«
»Dann gehen Sie lieber.«
Kal schüttelte den Kopf.
»Ich bitte nicht um Ihren Schutz, denn schon bestehen genug Konflikte zwischen Ihnen und Iwor. Aber ich gehe nicht zurück.«
»Wohin dann?«
Kal lächelte bloß. »Ich bitte nur darum, dass Sie Ludmilla und meinen Liebling Tanja hinter Ihren Mauern aufnehmen. Iwor wird Ihnen ihretwegen keine Schwierigkeiten machen.«
Die beiden Frauen, die sich abseits gehalten hatten, liefen zu Kal, und er drückte sie an sich.
»Und noch ein Letztes: Sagen Sie niemandem ein Wort von dem, was wir gerade besprochen haben. Ich traue jetzt nur noch zwei Personen hier, Ihnen und meinem Sohn Hawthorne.«
»Was sagen Sie da?«
»Sie haben einen Verräter in Ihren Reihen.«
Andrew sah Kal ungläubig an, als hätte er ihn nicht richtig verstanden.
»Es ist wahr. Einer Ihrer Männer wurde vor mehreren Wochen gesehen, als er den Dom verließ.«
»Wer ist es?«
»Es war stürmisch, und mein Mann kam nicht nahe genug heran, um ihn zu erkennen. Aber es war ein Yankee. Obwohl er den Mantel eines Bauern trug, konnte man von hinten seine Hose und Schuhe erkennen. Er spürte, dass er verfolgt wurde, rannte in die Menge und verschwand.
Sie dürfen jetzt nicht mehr offen legen, welche Absichten Sie verfolgen und was hier gesagt wurde, außer vielleicht ihren engsten Freunden wie dem mürrischen Sergeant oder dem freundlichen Arzt. Denn Sie wissen ja nicht, wer es ist.«
Andrew war so benommen, dass er nicht reagierte. Was hatte dem Mann angeboten werden können, damit er seine Kameraden im Stich ließ? Wie hatte er selbst, Andrew, so naiv sein und nicht mit dergleichen rechnen können? Hier standen einem Verräter Reichtum und Macht in einem Maße offen, von dem er zu Hause nie hätte träumen können.
»Wir leben in einer traurigen Welt«, sagte Andrew leise.
»Leben Sie wohl, mein
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