Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
schon zu lange an seiner Seite gestanden«, antwortete Casmar ruhig. »Er dient weder Perm noch Kesus, sondern nur der eigenen Eitelkeit. Er und andere seinesgleichen haben die Kirche so korrumpiert, dass etwas Unheiliges aus ihr geworden ist.
Ich bin aus meinem Glauben heraus zum Priester geworden«, fuhr Casmar traurig fort. »Ich glaube immer noch, aber nicht mehr an Rasnar. Die Kirche sollte die einfachen Menschen beschützen – sie nicht in Angst halten und nicht Verschonungen vor den Tugaren verkaufen, denn das ist ein Übel und macht Rasnar reich.«
Casmar wurde still und blickte sich um.
»Na ja, da hast du gewichtige Worte gesprochen«, sagte Kal ruhig und blickte Casmar in die Augen. »Ich wünschte, ich könnte dir glauben, und vielleicht wäre ich dann wieder fähig zu beten.«
»Falls ihr mich töten wollt«, sagte Casmar leise und mit bebender Stimme, »dann tut es jetzt. Gestattet mir nur, erst zu Kesus zu beten.«
»Ein Priester, der tatsächlich betet«, sagte Kal, aber er sagte es ohne Spott. Er blickte sich in der Versammlung um und sah, dass die Leute zögerten.
»Lasst ihn leben«, sagte Kal, »aber haltet ihn hier fest.«
Niemand erhob Einwände, denn viele im Raum waren von der echten Frömmigkeit. des rundlichen Priesters sichtlich gerührt.
Kal ging auf die Tür zu, drehte sich aber noch mal um.
»Würdest du für uns beten, Priester? Denn wir können es bald gut gebrauchen.«
Casmar nickte, und Kal sank auf die Knie, gefolgt von allen Umstehenden.
»Wie Er starb, um die Menschen zu heiligen, so lasset uns sterben, um die Menschen zu befreien«, betete Kal und blickte den Priester an.
»Was war das?«, fragte Casmar.
»Oh, ein Kirchenlied, das mir mein Sohn Hawthorne beigebracht hat.« Und mit grimmiger Miene erhob sich Kalencka nach Erteilung des Segens und verließ das Zimmer.
»Kompanie A, stillgestanden!«
Der Schnee dämpfte das Geräusch der Gewehre, die in Stellung gebracht wurden.
»In Ordnung, Männer«, sagte Hans, der steif vor der Kompanie stand, »die Abstimmung ist eröffnet. Stellen Sie sich im Versammlungshaus an und nehmen sich jeder einen Wahlzettel. Schreiben Sie ›bleiben‹ oder ›gehen‹ darauf, ganz nach eigenem Empfinden. Sobald Sie fertig sind, formieren Sie sich wieder draußen.
Rechts um, vorwärts marsch!«
Hawthorne klappte den Kragen hoch, um sich vor dem scharfen Wind zu schützen. Mit Einbruch der Dunkelheit hatte das Schneetreiben eingesetzt. Es fühlte sich fast wie zu Hause an, echtes Nordostwetter; schon bedeckten mehr als zwei Zentimeter Pulverschnee die Erde.
Im Feldlager herrschte heute Abend voller Alarmzustand; die Hälfte der Männer hielt Wache auf den Mauern, während die andere Hälfte versuchte, sich in den Hütten warmzuhalten. Die kompanieweise Ablösung führte dazu, dass die Abstimmung Stunden dauern würde, und Hawthorne fragte sich, ob er seiner Besorgnis noch länger Herr werden konnte.
Die ganze Woche war von politischen Manövern ausgefüllt gewesen. Die Offiziere hatten untereinander abgesprochen, jeden Kommentar zu verweigern, da die Entscheidung nicht bei ihnen lag. Damit war unter den Soldaten die Debatte entbrannt. Hawthorne schaffte es nach wie vor kaum, die eigene Haltung mit den eigenen religiösen Überzeugungen zu versöhnen, denn sicherlich bedeutete zu bleiben einen Kampf auf Leben und Tod, während ihnen das Fortgehen die Schlacht ersparen würde. Hätte er wirklich an die Lehren der Quäker geglaubt, dann hätte er fürs Fortgehen votiert, aber angesichts der Monstrosität der Tugaren und der Sklaverei, wie sie von Adligen und Kirche gepflegt wurde, rebellierte einfach sein Gewissen.
Er war innerlich zerrissen, noch während er am Abend zuvor in der Stadtversammlung aufstand und verzweifelt dafür plädierte, dass das Regiment die Stellung hielt und kämpfte, zuerst gegen den Adel und dann den verhassten Albtraum aus dem Westen.
Überrascht stellte er fest, dass die Männer ihm aufmerksam zuhörten, ohne dass gepfiffen und gebuht wurde oder erhitzte Gegenrede kam wie bei den Vorrednern. Später erst wurde ihm klar, dass sie ja seine religiösen Überzeugungen kannten und wussten, wie er innerlich mit sich ringen musste, und dass sie ihn dafür respektierten.
Nur Hinsen stellte sich gegen ihn, aber selbst die Männer, die Hinsen beipflichteten, brüllten ihn an, er sollte sich wieder setzen.
Trotzdem wusste er, dass die Abstimmung anders ausgehen würde. Zu bleiben, das hatte nur eine schwache
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