Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
Leute besser beherrschen gelernt, als er offen zu zeigen bereit war. Unter allen Suzdaliern, tatsächlich sogar unter allen Rus konnte er allein mit ihnen reden. Iwor brauchte ihn jetzt wirklich.
Seit Jahren lebte er von den Krumen von Iwors Tafel und schmiedete schlechte Verse zum Dank für das bisschen Komfort, das ihm geboten wurde. Und mehr als einmal hatte er gefürchtet, Iwor hielte ihn womöglich für schlauer, als einem Bauern zugestanden wurde, und könnte ihn mit dem Halseisen strangulieren lassen. Ein gefährliches Spiel hatte Kal gespielt, und all das einer einzigen Hoffnung zuliebe: dass er und seine Familie, wie der Adel auch, von der Opferung verschont blieben, wenn die Tugaren kamen.
Spiele weiter den Dummen, dachte er. Spiele einfach den Dummen und lerne in aller Stille von diesen Blauröcken. Er hatte schon genug gesehen, um von Schrecken erfüllt zu sein. Einer der jungen Blauröcke, der Junge namens Vincent, hatte ihm gezeigt, wie er mit seinem Metallstock einen Feind auf viele Schritte Entfernung umbringen könnte. Iwor würde diese Leute vielleicht vor lauter Angst vernichten und sich die Metallstöcke aneignen. Falls das passierte, war, wie Kal wusste, seine Rolle als Dolmetscher ausgespielt. Nein, Frieden war von wesentlicher Bedeutung, speziell für seine Aufgabe als Vermittler und damit eine gesicherte Stellung an Iwors Hof.
Er blickte sich im Zelt um und zeigte sein schönstes dümmlichstes Lächeln.
»Da, da, ja, Freunde, Blauröcke und Rus, gut! Kal reden Frieden für Rus, für Blauröcke.«
»Na ja, dann fangen wir am besten an«, verkündete Andrew, stand auf und gab Kal mit einem Wink zu verstehen, er möge ihm folgen.
»Kal, nimm das«, sagte Emil und hielt ihm die Hand hin.
Kal nahm das seltsame Ding entgegen, das er schon in den Gesichtern Canes, Emils und etlicher weiterer Blauröcke gesehen hatte.
»Für Iwor«, sagte Emil.
»Er hat den Mann als Schwachauge bezeichnet«, erklärte Emil und blickte Andrew an. »Ich habe eine Ersatzbrille. Wahrscheinlich nicht annähernd das, was der Mann brauchte, aber es gibt vielleicht den Ausschlag.«
Emil nahm Kal die Brille noch einmal ab und zeigte ihm, wie man sie aufsetzte. Kal schnappte verblüfft nach Luft, blickte sich neugierig um und nahm sie wieder ab.
»Macht Iwors Augen besser«, sagte Emil. »Geschenk von Cane und mir.«
Der Bauer betrachtete die Brille ehrfürchtig und nickte.
Die drei traten hinaus ins rötliche mittägliche Sonnenlicht und näherten sich den Feldschanzen. Drei Tage Arbeit hatten die Stellung nahezu unüberwindlich gemacht, das erkannte Kal mühelos. Das dreieckige Fort war von einem Erdwall umschlossen, so hoch, wie ein Mann greifen konnte, ergänzt um einen zweieinhalb Meter tiefen Graben davor. Sogar jetzt arbeiteten die Männer noch an der Stellung und errichteten Plattformen für die monströsen Metallrohre, eine an jeder Ecke, und das vierte Rohr war bereits auf einem Erdhügel im Zentrum des Lagers aufgestellt. Selbst wenn diese Männer nicht im Besitz der rauchenden Tötungsmaschinen gewesen wären, hätte man sie kaum vernichten können, dachte Kal, als er sich in der Stellung umblickte.
Denn noch mehr als sogar die Waffen war Kal aufgefallen, wie mühelos der Bojar Cane seine Männer im Griff hatte. Das war eine seltsame Geschichte. Cane schwatzte selbst mit dem Jüngsten, mit Vincent, der sich wie ein Adliger benahm. Aber auf ein bloßes, leise gesprochenes Wort Canes hin beeilten sich alle, ihre seltsamen Linien zu bilden, wobei sie so starr standen wie ihre Metallrohre.
Ein weiteres Wort, und fünfhundert Messer blitzten auf und wurden an den Rohren montiert. Erneut ein einzelnes Wort, und all die Rohre wurden in eine bestimmte Richtung gehalten. Hier wirkte eine seltsame Macht, bemerkte Kal, aber es war eine Macht, die nicht auf der Peitsche beruhte, wie es, so hatte er stets geglaubt, eigentlich der Fall sein musste.
So war die Welt nicht gedacht. Bauern sollten von Peitsche und Angst getrieben werden. Die Adligen beugten sich dem Bojaren, rauften sich aber untereinander um Ansehen und Stellung. Und die Priesterin diesem Lager fand man keine Priester. Keine goldenen Gewänder, vor denen sich alle außer dem Bojaren verneigen mussten, wenn sie die Worte der Unterwerfung unter Perm, seinen Sohn Kesus und das Opfer an die Tugaren sprachen.
Während er immer noch über diese Fragen nachsann, kämpfte sich Kal neben Keane auf die Brustwehr hinauf.
»Kal.«
Kal drehte sich zum Colonel
Weitere Kostenlose Bücher