Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl

Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl

Titel: Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William R. Forstchen
Vom Netzwerk:
anscheinend ein vergeblicher Versuch, etwas scharf zu sehen.
    »Wo zum Teufel stecken wir?«, stieß Emil hervor und schwenkte die Beine aus dem Bett. Stöhnend versuchte er aufzustehen, knickte aber ein und barg den Kopf in den Händen.
    »Wo wir sind?«, lachte Andrew kopfschüttelnd. »Ich will verdammt sein, wenn ich das weiß.«
    »Oh ja, das«, entgegnete Emil. Er schmatzte und schnitt eine Grimasse über den üblen Geschmack im Mund. Stöhnend unternahm er einen zweiten Versuch aufzustehen und hatte mit knapper Not Erfolg.
    Er tastete nach seiner Brille, setzte sie auf und blickte sich im Zimmer um.
    »Falls diese Leute keine Nachfahren mittelalterlicher Russen sind, dann bin ich blind«, sagte er und sprach jedes Wort aus, als wäre es eine Quelle von Schmerzen. »Sehen Sie sich nur mal die Stadt da draußen an.« Und er deutete aus dem Fenster auf die Pracht von Suzdal, die jetzt vom goldenen Licht des Morgens überspült wurde.
    Stöhnend trat Emil ans Fenster, und Andrew stand auf und gesellte sich zu ihm.
    »Als ich in Russland unterwegs war, um meine Familie zu besuchen, habe ich solche Städte gesehen. Und dieses verdammte Saufritual, das ist auch Russisch, glauben Sie mir! Einen positiven Aspekt hat die Sache jedoch – wo immer wir hier sind, es ist nicht das Russland auf der Erde. Aus reiner Neugier habe ich einen Davidsstern für Kal gezeichnet, ohne die Spur einer Reaktion zu erzielen. Also trifft man mein Volk hier nicht an, und somit gehört der gute alte russische Zeitvertreib der Pogrome nicht zu den Hobbys der hiesigen Menschen.
    Ehe ich diesen Versuch unternahm, hatte ich wilde Spekulationen angestellt, wir hätten vielleicht eine Zeitreise unternommen, aber das ist eindeutig nicht der Fall.«
    »Es ist nicht die Erde«, sagte Andrew, »und doch scheinen die hiesigen Menschen von der Erde zu stammen. Und so sind wir weiterhin mit einem Rätsel konfrontiert.«
    Die beiden Freunde unterbrachen das Gespräch einen Augenblick lang und widmeten sich der Aussicht aus dem Fenster. Der Palast erhob sich auf dem höchsten Berg der Stadt, sodass ganz Suzdal vor ihnen ausgebreitet lag. Alle Häuser, abgesehen von den Kirchen aus Kalkstein, bestanden aus Holz. Es waren jedoch nicht die grob gezimmerten Hütten, deren Anblick Andrew aus den abgelegenen Wäldern von Maine kannte. Die meisten der Häuser hier wiesen drei oder sogar vier oder fünf Stockwerke auf. Die ganze Stadt schien der Fantasie eines Holzschnitzers entsprungen; die kreativen Talente der Menschen schienen entfesselt in kunstvollen Schnitzereien, die sogar die bescheidensten Häuser schmückten.
    Drachen erweckten den Anschein, von den Dächern zu springen; Engel blickten zum Himmel, Bären tollten herum, Simse bestanden aus Kriegern in dichtem Schlachtengetümmel, und Zwerge hielten Wache vor Türen. Die Häuser waren nicht einfach von der dunklen Farbe alten Holzes, sondern zeigten sich bemalt mit leuchtenden Blumen, Bäumen, geometrischen Mustern und Symbolen der verschiedenen Handwerke, alles ein Tumult aus Farben, neben dem ein Regenbogen matt gewirkt hätte.
    Die Straßen waren schon belebt von Frühaufstehern. Kaufleute klappten die Läden ihrer Geschäfte auf, und einige erhoben bereits den Singsang ihrer Lockrufe, um Kunden einzuladen, sie möchten sich ihre Waren anschauen. Die Rauchschwaden Tausender Herdfeuer hingen über der Stadt, und die schmackhaften Düfte aus den Küchen trieben mit dem Morgenwind.
    Die Luft summte von den Stimmen der Händler, der Einkaufenden und der lachenden Kinder. Aus der Kirche drangen die fernen Laute eines klangvollen und wunderschönen Chorgesangs herüber, schwer von Bässen vor dem hohen Gegenpol der Tenöre, untermalt durch das Läuten der vieltönigen Kirchenglocken, die der Luft eine kristallene Leichtigkeit zu verleihen schienen.
    Unten am Fluss herrschte rege Aktivität auf den Piers. Die Schiffe, die das Ufer säumten und auf dem Fluss unterwegs waren, bereiteten dem Historiker in Andrew schieres Entzücken. Sie sahen aus wie Langschiffe in Klinkerbauweise, direkt aus der Zeit der Wikinger. Allerdings waren sie schwerer und breiter als die eleganten Langschiffe von einst, den Bug hochgezogen, mit Achtersteven versehen, deren Seiten verziert waren mit rotem und blauem Anstrich, auch wieder in den wunderschönen Mustern, die man schon in der Stadt so häufig erblickte. Viele der Schiffe waren mit Drachenköpfen verziert, und Andrew musste lächeln, als er an seine Kindheitsfantasien von

Weitere Kostenlose Bücher