Das verlorene Regiment 02 - Jenseits der Zeit
Kraft aus. Mehr als einmal hatte er auf dem Marsch Gott gedankt, dass er Offizier war und reiten durfte; er wusste, dass er andernfalls auf der Straße gestorben wäre. Die Männer des Fünfunddreißigsten hatten ihn deshalb nie abschätzig beurteilt, aber die Demütigung durch die Schwäche machte ihm von jeher Kummer.
»In zwei Stunden wird es dunkel, Sir.« Er blickte auf und sah Hank Petracci, den Ballonfahrer, der durchs Gras heranspaziert kam und ihm ein verständnisvolles Lächeln schenkte.
»Nicht früh genug, Jack. Ich wünschte, wir hätten Ihren Ballon dabei.«
»Das wäre viel besser, als zu laufen, Sir.« Und Hank salutierte freundlich, ging noch ein paar Schritte weiter und sank seufzend ins Gras.
Ein Schatten breitete sich über Andrew aus, und erschrocken blickte er auf und sah, dass Gregori und ein weiterer Bursche ein Sonnensegel entrollten, die Pflöcke beiderseits von Andrew einrammten und innerhalb von Sekunden einen Unterstand errichteten. Zur Hölle mit der Verlegenheit; er hatte das Gefühl, dass sie ihm das Leben retteten. Er hörte, wie jemand Wasser in etwas eingoss, und fuhr zusammen, als es ihm kalt über den Rücken rann. Die schwere Uniformjacke hatte er schon eine Stunde vorher beim letzten Halt abgelegt und war seitdem in Hemdsärmeln und Weste geritten. Das kühlende Nass traf seinen Hals mit einem Schock, und eine Sekunde lang glaubte er, das Bewusstsein zu verlieren.
»Sie stehen kurz vor einem Hitzschlag, Andrew.«
»Ah, mein ewig gegenwärtiger Doktor; setzen Sie sich doch.«
»Ich habe Ihnen nicht bei Gettysburg das Leben gerettet, damit Sie sich in dieser gottverlassenen Wüste um Kopf und Kragen bringen!«, bellte Emil, hockte sich neben ihn und blickte ihm in die Augen. Er nickte jemandem zu, der hinter Andrew stand, und ein weiterer Schwall Wasser strömte diesem über den Rücken. Er fing an zu zittern.
»Legen Sie sich hin, Colonel«, flüsterte Emil und legte ihm die Hand auf die Stirn.
»Falls ich das tue, stehe ich nicht wieder auf. Wir müssen weiterziehen.«
»Die Männer kippen schon seit zwei Stunden wie die Fliegen um. Ich habe mindestens vier Tote gesehen.«
Andrew hob das Telegramm hoch, damit Emil es lesen konnte.
»Verdammt«, flüsterte dieser. »Sie haben sich also verkauft.«
Andrew schloss die Augen, aber der Lichtschimmer tanzte weiter vor ihm. Er musste sich konzentrieren, musste klar denken.
Er lehnte sich zurück und spürte weiteres Wasser, diesmal auf der Brust, öffnete die Augen wieder und sah Gregori neben sich knien, die Augen voll von beinahe mütterlicher Sorge.
Andrew lächelte matt.
»Ich komme schon klar, mein Junge.«
»Trinken Sie etwas davon, Sir.«
Andrew hob den Kopf und schluckte eine Tasse Wasser.
»Langsam!«, bellte Emil. »Wenn Sie zu schnell trinken, könnte es Sie das Leben kosten.«
Andrew ließ sich das Wasser über die vertrocknete Zunge und durch die Kehle rieseln. Er spürte, wie sich der Magen verkrampfte, und kämpfte gegen die Übelkeit, um das kostbare Nass im Körper zu behalten.
Denke nach, verdammt, ergib dich nicht der Schwäche! Er schloss die Augen, wünschte sich einzuschlafen.
Was wohl mit Vincent war?
Erschrocken richtete er sich auf. Emil war nicht mehr da; Gregori und Bullfinch saßen neben ihm.
»Bin ich eingeschlafen?«
»Nur für ein paar Minuten, Sir«, antwortete Bullfinch.
»Im Telegramm stand nichts von Hawthorne«, sagte Andrew. »Wir dürfen keine Zeit verschwenden.«
Er nahm Gregori die Zinntasse aus der Hand und leerte sie; der Magen akzeptierte das Wasser jetzt, und jeder Tropfen wurde direkt vom Körper aufgesaugt.
»Ziehen wir weiter«, sagte er und stand auf.
»Aber Andrew«, sagte Emil und trat wieder hinzu.
»Kommen Sie mir nicht mit ›aber Andrew‹! Noch immer sind Hawthorne und seine Männer in der Stadt. Ich kenne den Jungen. Er sagte, er würde durchhalten, bis Entsatz kommt, und bei Gott, er wird es tun! Jede Minute ist kostbar.«
Er trat an Mercurys Seite und sah, dass sein alter Freund fix und fertig war, die Flanken von trockenem Schweiß bedeckt.
»Hornist, zum Abmarsch blasen!«
Der Hornstoß ertönte, wurde von weiteren Hornisten aufgegriffen und hallte in der Ferne wider. Flüche und Ächzen ertönten, als sich die Männer wieder aufrappelten. Zahlreiche kleine Gruppen stockten, bückten sich und hoben schlaffe Gestalten auf, die sie dann aus dem hohen Gras zum Straßenrand trugen.
»Ich werde den Befehl ausgeben, dass ein Mann für jeweils fünf
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