Das verlorene Regiment 02 - Jenseits der Zeit
schmalen Schlitz hinaus zur Gettysburg, die gerade langsam fünfzig Meter vor der Suzdal vorbeidampfte; die Gettysburg war mit einem der erbeuteten Fünfzigpfünder bestückt und stand unter dem Befehl John Minas. In der zunehmenden Abenddämmerung wirkte sie düster und bedrohlich. Die Distanz entsprach dem Nahbereich von Gewehren oder von Doppelkartätschen bei der Landartillerie, aber dies war die Entfernung, auf die es wahrscheinlich zum Gefecht kam – wie zwei schwerfällige Ritter aus alter Zeit, die mit Streitkolben aufeinander einschlugen.
Andrew blickte durch die offene Luke aufs Geschützdeck hinunter, packte eine Leitersprosse und senkte sich hinab. Mit seiner Körpergröße kam er sich in dem engen Schiff ein bisschen albern vor. Selbst als er schon auf dem unteren Deck stand, ragte sein Kopf noch in den Lukendurchgang.
Er nickte der Geschützmannschaft kurz zu und stieg weiter ganz sachte hinab in die Pulverkammer. Zumindest wenn das Schiff ruhig lag, meisterte er inzwischen das Auf-und Absteigen zwischen den Decks.
Die matt beleuchtete Pulverkammer war unbesetzt, denn der Junge war zur Geschützmannschaft hinaufgeklettert. Andrew öffnete die Riegel und durchquerte die zwei Türen zum Maschinenraum.
»Also, Emil, Sie sind wach und munter«, stellte er fest und ging zwischen den Stapeln Brennholz hindurch zu den beiden abgeschalteten Maschinen; zu hören waren nur das schwache Zischen von Dampf und das dumpfe Kleppern eines Heizers, der in einem der Kessel Dampf aufrechterhielt, damit in einem Notfall rasch hochgefahren werden konnte.
»Guter Platz, um sich eine heiße Tasse Tee aufzugießen«, antwortete Emil. »Möchten Sie eine?«
Andrew zögerte.
»Es ist eine gute Kräutermischung, von mir selbst zusammengebraut. Es würde Ihnen gut tun.«
Ohne auf Antwort zu warten, nickte er dem Heizer zu, der einen Becher zum Vorschein brachte, ihn unter eine Wasserleitung hielt und mit fast kochendem Wasser füllte. Emil holte einen kleinen Beutel hervor, öffnete ihn, sprenkelte einige Blätter in den Krug und schwenkte ihn.
»Hier, Andrew.«
Andrew probierte einen Schluck.
»Wie Pfefferminze.«
»Scheint das Gleiche zu sein. Ich habe so eine Pflanze auf der Erde nie gesehen, aber ich schätze, sie dient dem gleichen Zweck.«
Andrew nahm einen weiteren Schluck und lächelte, als sich die Wärme im fast leeren Magen ausbreitete.
»Der Kommandant durchwandert das Schiff am Abend vor der Schlacht?«
»Sie wissen ja, dass ich das immer mache«, antwortete Andrew. »Selbst als ich noch Kompaniehauptmann war, bin ich immer mit den Männern wach geblieben.«
»Ich denke, es gibt so eine Art Marineaberglauben, dass ein Kapitän oder Admiral – oder was zum Henker Sie auch sind – so etwas nur tut, falls er glaubte, ihm stünde eine verzweifelte Schlacht mit geringer Aussicht auf den Sieg bevor.«
»Wir sind mit zu vielen Unbekannten konfrontiert«, gab Andrew zu bedenken. »Bei den Tugaren wussten wir, was unsere Waffen bewirkten und wozu der Gegner imstande war. Diesmal wissen wir verdammt noch mal gar nichts, bis die Schlacht begonnen hat.«
»Na ja, wir haben nur eine Möglichkeit, es herauszufinden«, stellte Emil gelassen fest, »und wir dürften diese Antwort bald genug erhalten.«
»Womit Sie mir sagen möchten, dass ich mir keine Sorgen mehr machen soll.«
»Das sage ich Ihnen doch immer. Sorgen sind schlecht für den Magen und das Herz. Ihre Nerven bringen Sie eines Tages noch um.«
»Ein solcher Tod ist noch die geringste meiner Sorgen, guter Doktor«, sagte Andrew kopfschüttelnd und lachte leise.
»Vielleicht sollten Sie versuchen, eine Runde zu schlafen, mein Junge.«
»Bald, Emil«, sagte er. »Nebenbei: das ist guter Tee! Meinem Magen geht es schon besser. Ich mache nur noch einen abschließenden Rundgang.«
Er stellte den Becher weg, ging zur Achterleiter und stieg ganz langsam wieder zum Hauptdeck hinauf. Ein Dingi näherte sich der Suzdal aus der Dunkelheit und ging längsseits. Ferguson kletterte herauf, und das Boot wurde in die Nacht zurückgerudert.
»Wie geht es der Republik?«
Ferguson drehte sich erschrocken um, salutierte vage, nach achtern gewandt, entdeckte dann Andrew, salutierte erneut und ging zu ihm.
»Soll ich nachts um Erlaubnis bitten, an Bord zu kommen, und vor der Flagge salutieren?«, fragte Ferguson.
»Oh, das ist nur Bullfinch mit seinen Marinetraditionen«, sagte Andrew. »Das geht über meine Begriffe. Bezeichnen wir das hier vorläufig als
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