Das verlorene Regiment 02 - Jenseits der Zeit
schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem traurigen Lachen.
»Ich habe Sie immer bewundert, wollte sein wie Sie, seit ich dem Fündunddreißigsten beigetreten bin«, sagte Vincent leise.
Andrew spürte, wie er sich immer mehr zurückzog.
»Und Sie können diese kindische Heldenverehrung gerade jetzt nicht gebrauchen«, fuhr Vincent eilig fort. »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich zu verstehen glaube, was derzeit in Ihnen los ist.«
Andrew wandte den Blick ab. Er hatte das Gefühl, er müsste sich jetzt das übliche Lächeln abringen, den Kopf schütteln und sagen, alles wäre prima und Vincent solle nur weiter seine Arbeit tun.
»Nach allem, was ich gesehen habe …« Und Vincent legte eine kurze Pause ein. »… und allem, was ich getan habe, weiß ich, dass es wie ein Krebsgeschwür in mir sitzt und mich langsam auffrisst. Ich muss an die Männer denken, die umgekommen sind, weil ich ihnen sagte, tut dies oder nehmt jenen Weg. Ich denke an die Männer, und ja, sogar an die Tugaren, die ich umgebracht habe, und Gott helfe mir, an den Hass, den ich entwickelt habe.
Es ist nur so, Sir: Sie sollen wissen, dass alles, was Sie getan haben, richtig war.«
Andrew lächelte traurig und sah ihn an.
»Sagen Sie das den Menschen da draußen«, seufzte er und deutete mit dem Kopf aufs Meer. »Sagen Sie das denen, die wir in Suzdal zurückließen, und sagen Sie es den Männern, die morgen Abend sterben werden, weil es mich, offen gesagt, einfach aufgefressen hat.«
»Ich könnte Ihnen antworten, dass Sie Ihr Bestes getan haben«, entgegnete Vincent, »und ich weiß, dass Sie es mir nicht glaubten, wie oft ich es auch wiederholte. Wenn etwas schief geht, geben Sie sich zunächst immer selbst die Schuld. Ich denke, in dieser Hinsicht ähneln wir einander, Sir. Wir betrachten die Fehler, die wir im Lauf des Lebens gemacht haben, die echten und die eingebildeten, und wir quälen uns selbst, wünschen uns, wir könnten noch einmal zurückgehen und alles wieder gutmachen, es irgendwie wieder in Ordnung bringen.«
»Und das können wir nicht«, flüsterte Andrew.
»Wir tun niemals etwas ganz richtig, Sir«, sagte Vincent. »Niemand, nicht mal mein Held Andrew Lawrence Keane macht alles richtig.« Und er lachte leise.
»Ich denke, Sir, dass Sie es sogar bedauern, diese kleine Schwäche einem sehr jungen Offizier gezeigt zu haben. Sie denken, der wahre Kommandeur regelt alles mit sich allein, gibt sich immer zuversichtlich, versteckt seine Angst.«
Andrew erwiderte seinen Blick.
»Nur ist es diesmal anders, Sir. Es ändert nichts an meinen Gefühlen Ihnen gegenüber, Sir. Ich werde nie mit jemand anderem darüber sprechen. Sobald der jetzige Augenblick vorüber ist, wird es sein, als hätte es ihn nie gegeben. Und Sir, er nimmt mir auch nichts von dem Vertrauen, das ich in Sie setze, ob wir nun siegen oder verlieren.«
»Uns bleibt einfach kein Spielraum für Fehler«, sagte Andrew, der lieber geschwiegen hätte, aber miterleben musste, wie er mit diesen Worten herausplatzte. »Morgen Abend stelle ich mich ihm erneut mit einem Kanonenboot.« Und er wurde still.
Nach den Ereignissen an Bord der Suzdal jagte ihm schon der Gedanke, wieder ein solches Fahrzeug zu besteigen, einen kalten Schauer über den Rücken. Wie konnte er sich dem nur je wieder stellen?
»Dann sehen wir mal, was wir erreichen können«, sagte Vincent leise.
Andrew spürte, wie der Hauch eines Lächelns um die eigenen Lippen spielte. Der Junge blickte nach wie vor zu ihm auf, und doch musste er sich immer wieder daran erinnern, dass Vincent Hawthorne kein Junge mehr war. Andrew selbst hatte dazu beigetragen, aus ihm einen Mann zu machen – falls es das war, was ein Mann lernen sollte: ein gnadenloser Killer zu werden.
Irgendwie hatte er sich etwas Besseres für Vincent gewünscht, fast so, als betrachtete er in ihm einen Ersatz für seinen Bruder Johnnie.
»Und was ist mit Ihnen selbst, Vincent?«, fragte er sanft. »Was ist mit Ihnen geschehen?«
»Ich würde darüber jetzt lieber nicht reden«, sagte Vincent gelassen.
»Es hat Sie schließlich überwältigt, nicht wahr? Einmal zu viel getötet, und auf einmal hatten Sie nichts anderes mehr, was Sie im Gegenzug anbieten konnten.«
»Ich hatte beinahe Mitleid mit Cromwell«, erzählte Vincent. »Eine schreckliche Qual sucht diesen Mann heim. Und dann habe ich all das gesehen, was daraus entstanden war, die Männer meines Regiments, die tot im Palast lagen, der Spott über Ihre und meine Frau,
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