Das Verlorene Symbol
durch den Raum, um sie auf einen überhäuften Schreibtisch zu legen. Dann schaltete sie die Schreibtischlampe ein, zog den Reißverschluss der Tasche auf, schlug die Seiten zurück und blickte hinein.
In dem Halogenlicht sah die Pyramide ziemlich unscheinbar aus. Katherine strich mit den Fingern über die Inschrift, wobei Langdon spürte, wie es sie innerlich aufwühlte. Langsam griff sie in die Tasche und holte das würfelförmige Päckchen heraus. Sie hielt es ins Licht und betrachtete es eingehend.
»Wie du siehst«, sagte Langdon, »wurde es mit Peters Freimaurerring versiegelt. Vor über hundert Jahren, hat er gesagt.«
Katherine schwieg.
»Als er es mir damals anvertraut hat«, fuhr Langdon fort, »sagte er, das gäbe mir die Macht, aus Chaos Ordnung hervorzubringen. Ich bin mir nicht ganz sicher, was das heißen soll, aber ich nehme an, der Deckstein enthüllt etwas Wichtiges, weil Peter mir eingeschärft hat, dass er nicht in die falschen Hände geraten darf. Mr. Bellamy hat mir gerade dasselbe gesagt und mich gedrängt, die Pyramide zu verstecken und niemanden das Päckchen öffnen zu lassen.«
Katherine drehte sich um. Zorn spiegelte sich auf ihrem Gesicht. »Bellamy hat dir gesagt, du sollst es nicht öffnen?«
»Ja. Er hat darauf bestanden.«
Katherine schaute ungläubig. »Aber du hast gesagt, wir können die Pyramideninschrift nur mithilfe des Decksteins entschlüsseln, stimmt's?«
»Wahrscheinlich, ja.«
Katherine wurde lauter. »Und genau das sollst du tun. Das ist die einzige Möglichkeit, wie wir Peter zurückbekommen, richtig?«
Langdon nickte.
»Warum reißen wir das Päckchen dann nicht sofort auf und tun es, Robert?«
Langdon wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Schließlich erwiderte er: »Das war auch mein erster Impuls, aber Bellamy sagte mir, das Geheimnis der Pyramide müsse unbedingt gewahrt bleiben. Das sei wichtiger als alles andere … wichtiger noch als das Leben deines Bruders.«
Katherines hübsches Gesicht verhärtete sich, und sie schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Als sie antwortete, klang ihre Stimme entschlossen. »Wegen dieser Steinpyramide habe ich meine ganze Familie verloren. Zuerst meinen Neffen Zachary, dann meine Mutter und jetzt meinen Bruder. Und seien wir mal ehrlich, Robert, wenn du mich heute Abend nicht angerufen hättest, um mich zu warnen …«
Langdon sah sich zwischen ihrer Argumentation und Bellamys beinharter Forderung gefangen.
»Ich bin zwar Wissenschaftlerin«, sagte Katherine, »aber ich stamme auch aus einer Familie bekannter Freimaurer. Glaub mir, ich kenne sämtliche Geschichten über die Freimaurerpyramide und die Verheißung eines großen Schatzes, der die Menschheit erleuchten wird. Und ich finde die Vorstellung, dass ein solcher Schatz existiert, ziemlich abwegig. Aber wenn es ihn tatsächlich gibt, ist es vielleicht an der Zeit, die Sache ans Licht zu bringen.« Sie schob einen Finger unter den alten Bindfaden des Päckchens.
Langdon machte einen hastigen Schritt auf sie zu. »Katherine, nein! Warte!«
Sie hielt inne, den Finger unter der Kordel. »Ich werde meinen Bruder nicht für das hier sterben lassen. Was immer dieser Deckstein sagt, welche verborgenen Schätze diese Inschrift auch enthüllt … mit diesem Geheimnis ist heute Nacht Schluss.«
Damit riss sie trotzig an der Kordel, und das brüchige Wachssiegel brach auseinander.
KAPITEL 63
Westlich der Embassy Row, in einer gepflegten, ruhigen Wohngegend, gibt es in Washington einen eingefriedeten mittelalterlichen Garten, dessen Rosenstöcke angeblich aus dem 12. Jahrhundert stammen. Die Picknicklaube, bekannt als ›Schattenpavillon‹, erhebt sich elegant zwischen gewundenen Pfaden, die mit Steinen aus George Washingtons persönlichem Steinbruch gelegt wurden.
In der spätabendlichen Stille des Gartens erklang die Stimme eines jungen Mannes, der laut rufend durch das hölzerne Eingangstor stürmte.
»Hallo?« Er versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. »Sind Sie hier drin?«
Die Stimme, die ihm antwortete, klang gebrechlich und war kaum zu vernehmen. »Im Pavillon … Ich schnappe nur ein bisschen frische Luft.«
Der junge Mann fand seinen betagten Vorgesetzten auf einer Steinbank sitzend, die Beine unter einer Wolldecke. Der Greis war sehr klein, mit beinahe elfengleichen Zügen. Das Alter hatte ihm den Rücken gekrümmt und das Augenlicht geraubt, doch sein Wille war ungebrochen. Nein, noch durfte man ihn nicht abschreiben.
Völlig
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