Das Verlorene Symbol
tätowierten Händen. »Denken Sie schnell, Professor. Ich schätze, Ihnen bleiben weniger als sechzig Sekunden.«
KAPITEL 102
Robert Langdon hatte oft gehört, dass ein in die Enge getriebenes Tier zu unvorstellbaren Leistungen fähig war. Doch als er sich nun mit aller Kraft gegen den Boden seines Gefängnisses stemmte, geschah gar nichts. Um ihn herum stieg die Flüssigkeit immer noch an. Da ihm nicht mehr als anderthalb Handbreit Raum unter dem Deckel blieben, musste Langdon den Kopf recken, um in der verbleibenden Luftblase atmen zu können. Sein Gesicht befand sich nun unmittelbar unter dem Plexiglasfenster, und seine Augen waren nur wenige Zentimeter von der Unterseite der Steinpyramide entfernt, deren rätselhafte Bildinschrift über ihm schwebte.
Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet.
Über ein Jahrhundert lang unter einer gehärteten Mischung aus Wachs und Steinstaub verborgen, war die letzte Inschrift der Freimaurerpyramide nun freigelegt. Diese Inschrift war ein exakt quadratisches Gitter mit Symbolen aus jeder nur vorstellbaren Tradition – Alchimie, Numerologie, Heraldik, Kabbalah, Magie, Siegelkunde, Griechisch, Latein. Insgesamt betrachtet, war es die reinste symbolische Anarchie – eine Alphabetsuppe, deren Buchstabeninhalt aus einem Dutzend verschiedener Sprachen, Kulturen und Epochen kam.
Totales Chaos.
Selbst in seinen wildesten akademischen Interpretationen konnte der Symbolologe Robert Langdon sich keinen Reim darauf machen, wie dieses Schachbrett wirr zusammengewürfelter Symbole einer sinnvollen Deutung zugänglich sein sollte. Ordnung aus diesem Chaos? Unmöglich.
Die Flüssigkeit hatte nun seinen Adamsapfel erreicht, und Langdon konnte spüren, wie seine Panik in gleichem Maße stieg. Erneut hämmerte er gegen den Tank. Die Pyramide schien ihn höhnisch anzustarren.
Verzweifelt konzentrierte Langdon seine gesamte geistige Energie auf das Muster von Symbolen. Welche Bedeutung könnte darin liegen? Die Zusammenstellung war so disparat, dass er keine Ahnung hatte, wo er überhaupt anfangen sollte. Sie sind nicht einmal aus derselben historischen Epoche!
Außerhalb des Tanks hörte er Katherines gedämpfte Stimme. Er konnte die Worte kaum verstehen, doch dem Tonfall war zu entnehmen, dass sie das tätowierte Ungeheuer anflehte, ihn freizulassen. Obwohl Langdon nicht ein noch aus wusste, schien der drohende Tod jede Zelle seines Körper anzutreiben, eine Lösung zu finden. Denk nach! Seine Blicke huschten hin und her über das Raster, auf der Suche nach irgendeinem Hinweis – einem Muster, einem versteckten Wort, einem speziellen Symbol, irgendetwas –, doch er sah nur ein Muster von Symbolen, die rein gar nichts miteinander zu tun hatten. Chaos.
Mit jeder verstreichenden Sekunde spürte Langdon, wie eine unheimliche Taubheit sich in seinem Körper ausbreitete. Es war, als ob sein Fleisch sich darauf vorbereitete, seinen Geist gegen den bevorstehenden Schmerz des Todes abzuschotten. Das Wasser drohte ihm nun in die Ohren zu laufen, und er hob den Kopf, so weit er konnte, presste das Gesicht gegen die Decke des Kastens. Erschreckende Bilder blitzten vor seinen Augen auf. Ein Junge in Neuengland, der auf dem Grund eines dunklen Brunnens Wasser trat. Ein Mann in Rom, der unter einem Skelett in einem umgedrehten Sarg gefangen war.
Katherines Stimme wurde hektischer. Nach dem, was Langdon mitbekam, versuchte sie einem Verrückten beizubringen, dass er, Langdon, die Pyramide nicht entschlüsseln könne, ohne den Almas Temple aufzusuchen: »Es ist doch offensichtlich, dass sich in diesem Gebäude der fehlende Puzzlestein befindet! Wie soll Robert die Pyramide entschlüsseln, wenn ihm die wichtigste Information fehlt?«
Langdon wusste ihre Bemühungen zu schätzen, und doch war er sicher, dass ›Eight Franklin Square‹ sich nicht auf den Almas Temple bezog. Die Zeitlinie stimmte nicht. Der Legende nach war die Freimaurerpyramide um die Mitte des 19. Jahrhunderts geschaffen worden, Jahrzehnte, bevor es die Shriners überhaupt gab – wahrscheinlich sogar, bevor der Platz überhaupt Franklin Square genannt wurde. Der Deckstein konnte unmöglich auf ein damals noch nicht errichtetes Gebäude mit einer nicht existierenden Adresse verwiesen haben. Was immer es war, worauf ›Eight Franklin Square‹ verwies – es musste 1850 bereits bestanden haben.
Unglücklicherweise hatte Langdon immer noch keinen Schimmer, was es sein könnte.
Er durchforschte seine Gedächtnisspeicher nach
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