Das Verlorene Symbol
antwortet Peter nicht?, fragte sich Katherine und klappte ihr Handy zu. Wo bleibt er nur?
Seit drei Jahren war Peter Solomon stets als Erster bei ihren sonntäglichen Sieben-Uhr-Treffen erschienen. Diese Zusammenkünfte waren ihr privates Familienritual – eine Möglichkeit, einander zu sehen, ehe die neue Woche begann. Außerdem informierte Peter sich bei dieser Gelegenheit über Katherines Fortschritte im Labor.
Er kommt sonst nie zu spät, ging es ihr durch den Kopf, und er geht immer ans Telefon. Und als hätte sie nicht schon Sorgen genug, war Katherine sich nach wie vor nicht sicher, wie sie ihm begegnen sollte, wenn er endlich kam. Wie soll ich bloß zur Sprache bringen, was ich heute herausgefunden habe?
Ihre Absätze klackten rhythmisch auf dem Betonboden des Korridors, der das SMSC wie eine Wirbelsäule durchzog. Als ›die Straße‹ bekannt, verband dieser Gang die fünf riesigen Magazine. Zwölf Meter über Katherines Kopf pochten die orangefarbenen Leitungen des Lüftungssystems im Herzschlag des Gebäudes – dem Pulsieren von Tausenden Kubikmetern gefilterter und umgewälzter Luft.
Auf dem knapp einen halben Kilometer weiten Weg zu ihrem Labor wirkten die Atemgeräusche des Gebäudes normalerweise beruhigend auf Katherine. An diesem Abend jedoch machte das Pulsieren sie nervös. Was sie heute über ihren Bruder erfahren hatte, hätte jeden mit Sorge erfüllt, und da Peter ihr einziger noch lebender Angehöriger war, belastete Katherine der Gedanke, er könne Geheimnisse vor ihr haben, umso mehr.
Soviel sie wusste, hatte Peter ihr nur ein einziges Mal etwas verschwiegen. Dabei war es allerdings um ein wundervolles Geheimnis gegangen, versteckt am Ende dieses Gangs. Vor drei Jahren hatte Peter sie hier entlanggeführt und in die weniger spektakulären Geheimnisse des SMSC eingeweiht, indem er ihr stolz einige Schaustücke der Sammlung gezeigt hatte – den Marsmeteoriten ALH-84.001, das handgeschriebene piktografische Tagebuch von Sitting Bull und eine Sammlung wachsversiegelter Gläser, die Präparate enthielten, die Charles Darwin persönlich gesammelt hatte.
Dann waren sie an einer schweren Tür mit kleinem Fenster vorbeigekommen.
Katherines Blick fiel auf das, was sich hinter diesem Fenster befand, und sie schnappte nach Luft. »Was ist das, um alles in der Welt?«
Peter lachte stillvergnügt in sich hinein und ging weiter. »Magazin 3. Wir nennen es das ›Feuchtbiotop‹. Ein ganz schön ungewohnter Anblick, was?«
Furchteinflößend träfe es besser. Katherine eilte ihrem Bruder nach. Das Gebäude erschien ihr wie ein fremder Planet.
»Was ich dir eigentlich zeigen möchte, befindet sich in Magazin 5«, sagte Peter und führte seine Schwester weiter über den scheinbar endlosen Gang. »Es ist erst kürzlich erbaut worden und soll Teile der Sammlung aus den Kellergewölben des Naturgeschichtlichen Nationalmuseums aufnehmen. Die Stücke sollen in fünf Jahren hierher gebracht werden, deshalb ist Magazin 5 noch leer.«
»Warum schauen wir es uns dann an?«, fragte Katherine.
In den grauen Augen ihres Bruders blitzte der Schalk. »Weil ich mir gedacht habe, dass du den Raum vielleicht gebrauchen kannst, wenn sonst niemand ihn nutzt.«
»Ich?«
»Na klar. Ich dachte, vielleicht hast du Verwendung für einen Laborraum, der dir allein zur Verfügung steht – eine Anlage, in der du einige der Experimente, die du in den letzten Jahren in der Theorie entwickelt hast, tatsächlich ausführen kannst.«
Katherine blickte ihren Bruder an wie vom Donner gerührt. »Aber diese Experimente gibt es eben nur in der Theorie, Peter. Es ist unmöglich, sie durchzuführen.«
»Nichts ist unmöglich, Katherine. Und dieses Gebäude ist wie geschaffen für dich. Das SMSC ist nicht bloß ein Lagerhaus für wissenschaftliche Schätze, es ist eine der fortschrittlichsten Forschungseinrichtungen der Welt. Wir entnehmen der Sammlung ständig Exponate und untersuchen sie mit den modernsten Analysegeräten, die man für Geld kaufen kann. An Ausstattung würde dir hier alles zur Verfügung stehen, was dein Herz begehrt.«
»Aber die Technik, die erforderlich wäre, um die Experimente vorzunehmen …«
»Alles schon an Ort und Stelle.« Peter lächelte breit. »Das Labor ist fertig.«
Katherine verharrte mitten im Schritt.
Ihr Bruder wies den langen Korridor hinunter. »Komm, sehen wir's uns an.«
Katherine brachte kaum ein Wort hervor. »Du … du hast mir ein Labor einrichten lassen?«
»Das gehört
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