Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
überwältigt auf das, was sich hinter
der Landfrau erhob, die da durch die Ebenen marschierte.
Sie lauschten den Tönen, die an ihre Ohren drangen. Das
also war die Musik, die während der letzten beiden
Nächte durch ihre Träume geklungen war.
Die Frau lächelte zu ihnen hoch und winkte, setzte
aber entschlossen ihren Weg fort.
Während sie vorüberschritt, stimmten die Zauberer
unwillkürlich ein Lied des Dankes an.
Die Bäuerin dachte sich, der Gesang höre sich sehr
angenehm an, aber nicht annähernd so schön wie das,
was hinter ihr erklang.
In der Kälte des Morgens lag eine untröstliche Faraday
regungslos unter ihren Decken. Sie konnte sich nicht
dazu bringen, die Augen zu öffnen, denn wieder würden
sie sicherlich sanft summende Schößlinge umgeben, die
ungeduldig darauf warteten, eingesetzt zu werden. Sie
fühlte sich ausgelaugt. Wann würde sie sich endlich
ausruhen können?
Faraday seufzte und rieb sich den Magen. Sie verspürte erneut Übelkeit, aber sie wußte, daß sie ein paar Bissen
hinunterzwingen mußte. Doch selbst die Köstlichkeiten,
die die magischen Satteltaschen anboten, ließen die Edle
heute gleichgültig. Später vielleicht, wenn die Sonne
höher am Himmel stand und die ersten Bäumchen des
Tages ausgepflanzt waren, würde sie essen.
Der Wind fuhr kalt und beharrlich unter ihre Decken,
und schließlich öffnete Faraday die Augen. Sie blinzelte
und runzelte die Stirn vor Verwirrung. Vor ihr standen
erwartungsgemäß Reihen kleiner Pflanzen, aber dahinter
… jenseits von ihnen erblickte sie abgestoßene braune
Lederstiefel, die stämmige Knöchel und noch kräftigere
Waden umschlossen, welche in dem braunen wollenen
Rock einer Bäuerin verschwanden.
Faraday setzte sich auf und sah der Landfrau ins Gesicht. Zuerst glaubte sie, eine Fremde vor sich zu sehen,
aber dann erkannte sie die Frau. »Bäuerin Renkin! Was?
Wie? Warum …« Ihre Stimme versagte. Die gute Frau
Renkin? Hier?
»Edle Dame«, rief die Frau aus und lachte über das
ganze Gesicht. Ihre Augen funkelten, und ihre Hände
kneteten ihre Röcke. »Oh, meine Dame! Bitte, laßt mich
bei Euch bleiben, schickt mich nicht fort. Ich würde alles
tun, um Euch zu helfen, wirklich alles!«
»Bäuerin Renkin«, wiederholte Faraday völlig sinnlos
ihren Namen, während die Landfrau sich vorbeugte, um
ihr beim Aufstehen zu helfen. Sobald sie auf den Füßen
stand, blickte Faraday auf die Ebene hinter der Bäuerin
… und erkannte, daß der Ton, der an diesem Morgen die
Luft erfüllte, weder von den grasenden Eseln noch dem
Summen der winzigen Setzlinge herrührte.
Hinter Bäuerin Renkin erhob sich ein Wald. Große
Bäume, hundert Meter hoch, reckten sich der Sonne
entgegen, und ihre Äste breiteten sich über fünfzig oder
mehr Schritte nach allen Seiten aus und berührten die
Zweige ihrer Nachbarinnen. Unter ihnen hatten die
harten Gräser der Ebenen von Tarantaise und Südarkness
niedrigen duftenden Sträuchern und blühenden Waldwegen Platz gemacht, gesprenkelt vom goldenen Licht, das
durch das Blätterdach fiel.
Und sie sangen – eine Melodie, in der Faraday später
das Wiegenlied erkannte, welches Bäuerin Renkin ihnen
beigebracht hatte. Die Tonfolge wirkte atemberaubend,
denn obwohl nicht sonderlich laut, so klang das Lied
doch tief und voll tönender Schatten und Kadenzen, und
jeder Baum steuerte seine eigene unverkennbare Melodie
bei, die jedoch harmonisch mit denen seiner Nachbarn
und mit dem Klang des ganzen Waldes verschmolz.
Faraday spürte, wie die Melodie durch ihren Körper floß.
Wie würde es ein, wenn sie schließlich ein Lied anstimmten?
Die Bäuerin musterte Faradays Gesicht, dann schaute
sie zu den Bäumen hinüber. »Geben sie nicht angenehme
Töne von sich, meine Dame? Sie klingen wie ein Meer
von Spielleuten, genauso hört es sich an.« Einer ihrer
gestiefelten Füße tappte im Rhythmus der Melodie der
Bäume auf den Boden.
Faraday zwang ihren Blick von den Bäumen weg.
»Ein Meer von Spielleuten, Bäuerin?« Sie schöpfte tief
Atem, so glücklich fühlte sie sich. »Warum nennen wir
diesen neuen Wald dann nicht Bardenmeer? Er braucht
einen Namen, und dieser ist so gut wie jeder andere,
wenn nicht sogar besser als die meisten.« Sie unterbrach
sich. »Bäuerin, was tut Ihr hier?«
»Ich kam, um zu helfen«, erklärte Frau Renkin leise.
Ihr ländlicher Tonfall war vollkommen verschwunden,
und als Faraday tief in die Augen der Bäuerin blickte,
erkannte sie
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