Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
Ihr
seid die Baumfreundin und legt die großen Wälder neu
an. Möchtet Ihr Gesellschaft? Braucht Ihr Unterstützung?
Die Aufgabe ist schwer für eine einzelne Person, und wir
kommen nicht umhin festzustellen …«
»Nein«, unterbrach ihn Faraday hart. »Nein«, wiederholte sie in sanfterem Ton, »mir geht es gut, und es
handelt sich um eine Aufgabe, die ich alleine bewältigen
muß.«
Und ich ertrage es nicht, einen Ikarier an meiner Seite
zu haben, dachte sie, denn Eure Augen und Eure Macht
erinnern mich zu sehr an Axis. Aber der Gedanke an
Axis brachte sie darauf zu fragen, ob sie während der
letzten Wochen irgendwelche Neuigkeiten über den
Sternenmann oder Aschure gehört hatten.
»Beinahe gar nichts, Faraday, und die Neuigkeiten,
über die wir verfügen, sind keine mehr. Wir wissen, daß
Axis seine Armee gen Norden nach Aldeni führt, um dort
auf die Skrälinge zu treffen, und wir erfuhren, daß die
Zauberin gemeinsam mit Sternenströmer zur Insel des
Nebels und der Erinnerung segelte.«
Sternenrast lächelte. »Bald wird diese kleine Flamme
nicht mehr das einzige Leuchtfeuer sein, das zu den
Sternen auflodert.«
Von Tare aus marschierte die Bäuerin Renkin entschlossen nach Osten. Nachdem sie Sternenschein auf
dem Marktplatz verlassen hatte, nahm sich die Bäuerin
gerade soviel Zeit, einem nach Nordarkness zurückkehrenden Schafhirten eine Nachricht an ihren Mann und
den Erlös aus dem Verkauf der Schafe anzuvertrauen und
ihren Reiseproviant aufzustocken, bevor sie ihr Bündel
ergriff und die Stadt verließ.
Arme Dame, arme Edle Faraday. Man stelle sich vor,
ganz alleine durch die hügeligen Hochebenen zu
wandern. Woran dachte Faraday wohl? Was fing sie dort
draußen an, so ganz auf sich gestellt? Ich hätte niemals
zulassen dürfen, daß sie mein Haus verließ, schalt Frau
Renkin sich selbst. Niemals erlauben sollen, daß sie die
Wärme meines Feuers verließ.
»Sie braucht eine Freundin«, murmelte die Bäuerin
jeden Morgen, wenn sie bei Tagesanbruch erwachte und
ihr Gepäck schulterte. »Das arme Mädchen braucht
jemanden, der ihr hilft.«
Während sie weitermarschierte, fielen der Bäuerin
viele Dinge ein.
Zuerst kamen ihr die Rezepte und Zaubersprüche, die
ihr die Großmutter beigebracht hatte, wieder ins Gedächtnis. Mit jedem Tag, jedem Schritt traten weitere
Erinnerungen an die Oberfläche, und die Bäuerin hielt
ständig an, die Augen groß vor Erstaunen. »Oh«, hauchte
sie dann, »wie konnte ich das nur vergessen?«
Und wenn sie dann weiterging, entdeckte sie ein
Kraut, hielt an, um es zu betasten und sich selbst
zuzumurmeln, welchem Zweck es diente und welche
Worte ausgesprochen werden mußten, um seine besonderen Kräfte zu verstärken.
Gelegentlich pflückte Frau Renkin die ganze Pflanze,
dann wieder zupfte sie nur ein paar ihrer Blätter ab, die
sie dann in einer Tasche ihres Umhangs verstaute. Nach
einigen Tagen stellte sie fest, daß sie eine riesige
Sammlung angehäuft hatte. So verbrachte sie den ganzen
nächsten Tag damit, alle Kräuter zu trocknen, bevor sie
diese wieder in ihrem Bündel verstaute.
Aber der Bäuerin kamen auch einige Dinge wieder in
den Sinn, die bestimmt nicht von ihrer Großmutter
stammten und die sie auch nicht anderswo beobachtet
haben konnte. Frau Renkin erinnerte sich daran, sich aus
einer Höhle gekämpft zu haben, gemeinsam mit einigen
wenigen anderen Überlebenden, um dann feststellen zu
müssen, daß die Welt, die sie gekannt hatten, von einer
vom Himmel gefallenen Feuersbrunst verwüstet worden
war – und die großen Krater, die die fallenden Flammen
in der Erde hinterlassen hatten, füllten sich allmählich
mit dampfendem Wasser, bis sie nach wenigen Wochen
unter sanften und wundersamen Seen verborgen lagen.
Die Bauersfrau erinnerte sich auch daran, auf einem
Berg gestanden zu haben und auf einen großen Wald zu
blicken, einen smaragdgrünen See, der sich in der
leichten Brise wiegte. Leuchtendbunte Schmetterlinge
flatterten von Baum zu Baum, aber als ihre Erinnerung
deutlicher und klarer wurde, bemerkte die Bäuerin, daß
es sich keineswegs um Schmetterlinge handelte, sondern
um Gruppen der schönen fliegenden Menschen, mit
denen sie in Tare gesprochen hatte.
Viele umflatterten pastellfarbene Turmspitzen, die
über der Kuppel des Waldes in den Himmel ragten.
Sie sah auch Bilder aus der Zeit vor sich, als die Geflügelten nicht das seltsamste Volk darstellten, das man
auf dem heimatlichen Markt antreffen
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