Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
kurzem hier, und wer Arken
schon länger nicht mehr besucht hatte, war wohl wirklich
auf diesen Anblick nicht gefaßt. »Er reicht nicht weiter
nach Norden als bis zu dieser Stadt. An der nördlichen
Stadtmauer hören die Bäume auf.«
Gilbert gestattete sich ein leises Lächeln. Dann mußte
Faraday noch hier sein. »Der Wald erscheint mir recht
ungewöhnlich und so gar nicht von der Art, welche die
Menschen der Ebene sonst hier zu sehen bekommen.«
»Ungewöhnlich? Das könnt Ihr laut sagen«, entgegnete die Händlerin und fragte sich, was der Fremde
eigentlich von ihr wollte. »Aber in den vergangenen
Monaten haben wir hier weit merkwürdigere Dinge zu
sehen bekommen.«
»Fürchtet Ihr Euch denn gar nicht vor den Bäumen?«
Die Frau lächelte breit. »Ich soll mich vor ihnen fürchten? Warum denn, edler Herr? Im Gegenteil, sie gefallen
mir sehr gut. Mein Mann und ich denken sogar daran,
einmal dort ein kleines Mahl einzunehmen, zusammen
mit Freunden. Wohl an irgendeinem schattigen Wegesrand.« Nun lächelte sie glücklich. »Die Vögel im Wald
singen so schön, besonders am Morgen. Da macht einem
das Aufstehen richtig Freude.«
Gilbert bestürzten diese Worte, doch ihre plötzliche
Redseligkeit ermutigte ihn, und so fragte er weiter:
»Aber wie ist es denn möglich, daß diese Bäume so rasch
zu solchen Höhen wachsen? Vor fünf oder sechs
Monaten bin ich an Arken vorbeigeritten«, log er, »und
da war noch nichts von ihnen zu sehen.«
Die Händlerin lächelte nun geradezu selig: »Das habt
Ihr richtig beobachtet, edler Herr. Die Bäume stehen erst
seit vier Tagen hier, sind mit ihr gekommen.«
»Mit wem?«
»Mit ihr eben«, zeigte die Frau in eine bestimmte
Richtung.
Gilbert schaute dorthin, konnte zunächst aber noch
nichts erkennen.
Doch dann blickte er Faraday genau ins Gesicht.
Die Edle befand sich nur einige Stände von ihm entfernt, und einen bangen Herzschlag lang befürchtete er
schon, sie habe ihn gesehen. Aber dann wandte sie sich,
als sei nichts geschehen, an eine wohlbeleibte rotgesichtige Bäuerin, die neben ihr stand, und die beiden lachten
über irgend etwas. An ihrer anderen Seite befand sich ein
stämmiger grauhaariger Mann, vielleicht ein Händler.
Aber dafür war er eigentlich zu gut gekleidet. Außerdem
trug er eine Goldkette um seinen Hals.
»Ihr müßt hier wirklich fremd sein«, bemerkte die
Händlerin, beäugte Gilbert wieder genauer und klang
auch vorsichtiger, »wenn Ihr noch nicht einmal unseren
Bürgermeister, Kulperich Fenwicke, erkennt.«
»Selbstverständlich ist er mir kein Unbekannter!« gab
er unwillig zurück. »Vielmehr ließ mich die Frau neben
ihm die Stirn runzeln.«
Dann seid Ihr ein Fremder, der in keinen guten Absichten nach Arken gekommen ist, sagte sich die Frau,
denn wie kann man angesichts der Baumfreundin die
Stirn in Falten legen? Ohne ihn noch länger anzusehen,
machte sie sich daran, ihre Ware zu stapeln, und Gilbert
schob sich durch die Menge näher an Faraday heran.
Seine Handflächen juckten, und er konnte in seinem
Kopf Artors dröhnende Stimme vernehmen.
Faraday hatte ihren Aufenthalt in Arken genossen, aber
jetzt wollte sie weiter. Jenseits der Farnberge würde sie
ein kaltes und verschneites Land Skarabost erwarten, und
dort käme sie gewiß nicht so rasch voran wie hier in
Arkness. Leider blieb ihr keine Wahl. Sie mußte das
Bardenmeer bis nach Awarinheim gepflanzt haben, wenn
Axis so weit war, Gorgrael gegenüberzutreten.
Sonst wäre sie gescheitert und alles wäre verloren.
»Axis«, flüsterte die Edle, und Frau Renkin nahm sie
sofort in die Arme.
»Ihr solltet es ihm sagen«, verlangte die Mutter.
»Nein«, widersprach Faraday, und ihre Augen füllten
sich mit Tränen. »Nein, das braucht er nicht zu wissen.«
Kulperich wußte zwar nicht, was die beiden Frauen
da miteinander zu bereden hatten, aber Faradays
Gesichtsausdruck beunruhigte ihn, und so trat er zu
ihnen.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?« fragte er. »Oder
Euch etwa ermüdet?«
»Nein, Bürgermeister«, entgegnete die Edle, »überhaupt nicht. Wir waren uns nur wegen einer nichtigen
Angelegenheit etwas im unklaren. Doch nun verratet uns
bitte, wen Ihr heute abend eingeladen habt, um die gute
Bäuerin und mich zu unterhalten?«
Beruhigt führte Fenwicke die beiden Frauen aus den
Arkadengängen auf den großen Platz und plauderte
erheitert mit ihnen.
Keiner der drei bemerkte den Mann, der sich geschickt
durch die Menge bewegte und ihnen
Weitere Kostenlose Bücher