Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
unsere Pflichten und Verantwortlichkeiten, aber wir
mischen uns nicht in das tägliche Leben der Menschen
oder Ikarier ein. Wie Adamon gerade sagte, sind wir
Wesen der Magie, aber wir unterscheiden uns von den
anderen Zauberern dadurch, daß wir auf einer anderen
Ebene leben. Eine, die Ihr bislang noch nicht kennengelernt habt.«
»Ihr seid unsterblich?« flüsterte Aschure ergriffen.
»Wer weiß?« zuckte Pors die Achseln.
Die junge Frau konnte nur schweigend dasitzen. Dann
fragte sie vorsichtig: »Würden Axis und ich uns dann, äh,
hier aufhalten müssen?«
Alle Götter sahen sich an und brachen in Gelächter
aus. »Ach, meine Liebe«, meinte Zest dann, »glaubt Ihr
vielleicht, wir würden den lieben langen Tag in dieser
Nebelkammer herumsitzen und eine würdevolle Miene
aufsetzen? Nein, nein, wir kommen nur selten alle
zusammen. Und jetzt, da wir wieder frei sind, verbringt
jeder von uns seine Zeit, wie es ihm beliebt. Wenn Axis
und Ihr beschließen solltet, Tencendor zu durchwandern,
so wird Euch niemand daran hindern. Wenn Ihr lieber in
Sigholt oder Karlon leben wollt, so habt Ihr jedes Recht
dazu. Wir alle verbringen unser Leben nach unseren
eigenen Vorstellungen. Was Götter angeht, so habt Ihr
bislang nur mit Artor Erfahrungen gemacht, und Er zieht
es vor, sich den Blicken der Sterblichen zu entziehen und
lieber in Verkleidungen und Trugbildern aufzutreten.
Aber das ist Seine Sache, und wir eifern Ihm darin nicht
nach.«
Die junge Frau wirkte nach dieser Erklärung so erleichtert, daß die Götter wieder lachen mußten. Sogar die
Torwächterin verzog die Lippen zu einem Lächeln.
Aschure konnte dann sogar über sich selbst lachen.
Zauberin, Magie bewirken, nun gut, damit war sie
einverstanden. »Dann zeigt mir doch bitte, wie ich meine
Macht zu gebrauchen habe.«
»Das wird uns ein Vergnügen sein«, freute sich Xanon. »Aber wir müssen es langsam angehen lassen. Fürs
erste braucht Ihr nur zu wissen, daß Ihr die Macht der
Magie weder herbeirufen noch über sie befehlen müßt.
Denn Ihr seid Magie, und im Lauf der Zeit werdet Ihr
ganz von selbst auf die Macht zurückgreifen, die in Euch
wohnt. Je ungezwungener Ihr damit umgeht, desto
leichter wird Euch das fallen. Doch keine Angst, wir
helfen Euch dabei mit göttlichen Kräften.«
»Ich muß doch nicht etwa lernen zu singen?« fragte
Aschure mit unsicherer Stimme, und Adamon klopfte ihr
beruhigend auf die Hand.
»Nein. Aber eines Tages werdet Ihr mehr über den
Sternentanz lernen als jeder andere Zauberer in Eurer
Umgebung.«
»Und Axis? Was kann ich für ihn tun?«
»Reist zu ihm, meine Liebe, und unterwegs werden
wir uns miteinander unterhalten«, erklärte der oberste
Gott. »Wir werden Euch unterrichten. Im Gegenzug
müßt Ihr Euer Wissen dann auch an Axis weitergeben
und ihn dazu bewegen, seine Bestimmung anzunehmen.«
»Fürchtet Euch nicht, Ihr werdet auf der Reise reifer
werden«, sprach Xanon so leise, daß Aschure sich nicht
sicher war, sie richtig verstanden zu haben.
»Wir werden Euch bald wiedersehen«, sagte Pors.
»Bald sind wir neun«, seufzte Flulia.
»Dann ist der Kreis geschlossen«, kam es von Silton.
»Und nun schickt die Sonne sich an aufzugehen«,
erhob sich Adamon. »Ihr müßt zu Euren Kindern und zu
Sternenströmer zurückkehren. Er bedarf nämlich Eurer
Hände, die ihm seine Kopfschmerzen vertreiben.«
Aschure schwankte auf den Stufen, die in die Klippen
gehauen waren. Voller Panik preßte sie sich an die
Felswand, riß sich dann aber zusammen.
»Ganz aus mir selbst«, murmelte sie vor sich hin und
ließ die Hände sinken.
Und aus der gleichen altbewährten Gewißheit sangen
die Wellen im Takt zur Brandung. Aschure lachte befreit
und lief fröhlich die Stufen hinauf.
Als sie oben anlangte, legte Wolfstern ihr einen wärmenden Umhang um die Schultern und umarmte sie.
»Vielleicht sehen wir uns jetzt für sehr lange Zeit nicht
mehr wieder, meine Tochter. Doch behaltet stets in
Erinnerung, daß ich Euch liebe.«
Damit verschwand der Zauberer.
Sternenströmer eilte mit schmerzverzogenem Gesicht zu
den Klippen und führte eine ganze Schar besorgter
Priesterinnen und Ikarier an. Sicarius eilte ihnen voran
und bellte freudig, als er seine Herrin entdeckte.
Der Vogelmann glaubte, seinen Augen nicht trauen zu
können. Als er seine Schwiegertochter zuletzt gesehen
hatte, hatte sie nur ihr Nachthemd angehabt, war
vollkommen ermattet gewesen und hatte viel Blut
verloren. Doch jetzt
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