Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
Berg ließ der Sturm endlich nach.
Die Posten an den Eingängen meldeten, daß der Himmel
aufklare, aber immer noch eine dichte Wolkenschicht die
Sonne verdecke. Schneeverwehungen machten das
Vorankommen auf der Ebene am Fuß der Berge schwer.
Dennoch ließe sich mit Ausdauer und Beharrlichkeit
der Weg schaffen.
»Was meint Ihr, Ihr Herren?« fragte Belial Magariz
und den Häuptling. Sie saßen eng beieinander, um sich
gegenseitig Wärme zu geben. Axis lag neben ihnen, aber
er schwieg schon sehr lange. Nur ein gelegentliches
Zucken seiner Decken verriet, daß er noch lebte.
»Ich meine, daß wir diesen freudlosen Ort der ewigen
Finsternis so rasch wie möglich verlassen sollten«,
erklärte der Fürst. »Lieber im Kampf unter offenem
Himmel sterben, als in diesen Stollen elendig zugrunde
gehen.«
»Und Ihr, Ho’Demi?«
»Ich stimme Magariz zu. Nichts spricht dafür, daß wir
länger hierbleiben.«
»Aber wenn wir geradewegs in eine Falle laufen?
Wenn Gorgrael den Sturm nur zurückgezogen hat, um
uns herauszulocken? Sollte uns unterwegs noch so ein
furchtbares Unwetter treffen, könnten wir uns nirgendwo
verkriechen und müßten in der Ebene erfrieren.«
Alle außer mir, dachte Axis bitter, der durchaus alles
mitbekam, was seine Offiziere untereinander berieten. Ich
säße dann in einem gefrorenen Körper gefangen. Wäre
noch am Leben und doch so gut wie tot. Was muß ich noch
anstellen, um diese Welt endlich verlassen zu können?
In den letzten Tagen hatte sich sein Zustand verheerend verschlechtert. Sein Fleisch verfaulte, während er
selbst widersinnigerweise am Leben blieb. Und mit jeder
Stunde, mit jeder Minute marterten ihn seine Schmerzen
mehr.
»Die Entscheidung liegt bei Euch, Belial«, sprach der
Fürst jetzt.
Der Oberbefehlshaber warf einen Blick auf den Krieger und entdeckte ein Leuchten in dessen Augen. Das
gab für ihn den Ausschlag. Sein Freund wollte nicht
länger in dieser Düsternis verrotten.
»Dann brechen wir auf«, erklärte Belial, »und versuchen, so rasch wie möglich Sigholt zu erreichen.«
Als der Fürst und Ho’Demi sich auf den Weg machten, die Männer zu sammeln und zum Abmarsch zu
formieren, ging der Leutnant vor dem Sternenmann in
die Hocke: »Seid Ihr wach, mein Freund?«
Axis nickte unmerklich. »Ich kann einfach nicht mehr
schlafen.«
Belial fühlte sich über alle Maßen hilflos. Niemand
konnte irgend etwas tun, um das Leiden des Kriegers zu
lindern. Und über die viel gewichtigere Frage wagte der
neue Oberbefehlshaber kaum nachzudenken: Was würde
aus dem Kampf gegen Gorgrael? Wenn sie Sigholt
erreichten – falls sie überhaupt jemals dort ankamen –,
wie sollte es dann weitergehen?
»Alles erscheint mir wie ein einziger Traum«, flüsterte
Axis, und Belial wußte nicht, ob er zu ihm sprach oder
nur laut dachte. »Wie ein großartiger Traum. Voller
Schönheit und Hoffnung, zieht er uns wie magisch an,
und wenn wir aus ihm erwachen, müssen wir feststellen,
daß alles nur eine furchtbare Lüge gewesen ist. Wir sind
erledigt, mein Freund, wir sind fertig.«
Der Leutnant konnte nur bei dem Krieger sitzen, ihn
anstarren und darum beten, daß er sich irrte. Doch tief in
seinem Herzen spürte Belial, daß er seinem alten Freund
nicht widersprechen konnte.
»Alles verhält sich so, wie Ihr es schon vermutet habt,
Gorgrael: Axis lebt und schmiedet weiter Pläne für Eure
Vernichtung.«
»Wußte ich es doch!« heulte der Zerstörer und sprang
aus seinem Sessel. »Dann war es vollkommen richtig von
mir, das Heer vom Azle zurückzurufen.«
Während der vergangenen Woche hatte Timozel zwar
gehorsam die Skrälinge nordwärts zum Gorkenpaß
geführt, sich aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit
darüber beklagt, daran gehindert worden zu sein, der
Armee des Feindes den Todesstoß zu versetzen. Täglich
redete er auf seinen Herrn ein, diese Entscheidung doch
noch einmal zu überdenken. Und regelmäßig mußte der
Feldherr an sich halten, den Zerstörer nicht zu sehr mit
seinen Wünschen zu plagen, weil sonst die Strafe auf
dem Fuße gefolgt wäre.
Gorgrael bestand zwar beharrlich darauf, daß Timozel
nach Norden weiterzog, aber das, was der Jüngling
vorzubringen hatte, stimmte ihn gleichwohl nachdenklich. Hätte er lieber doch am Azle zuschlagen sollen?
War Axis vielleicht wirklich durch die Zauberenergie,
die er gegen die Greifen gesandt hatte, schwer verletzt
worden? Diese Unwägbarkeiten hatten ihn beinahe um
den Verstand gebracht,
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