Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
seines
Arms an ihren Schultern wurde stärker.
Er wartet auf Euch und fürchtet sich doch gleichzeitig
davor, von Euch gesehen zu werden. Der Krieger sitzt auf
seinem Hengst, sein toter Leib ist seit zehn Tagen mit Seilen
festgebunden, und fragt sich verzweifelt, ob Ihr noch irgend
etwas an ihm zu finden vermögt, das Ihr immer noch lieben
könnt. Das bereitet ihm die größte Angst.
Als könnte ich ihn nicht mehr lieben.
Ja, so wie wir alle ihn lieben. Doch niemand von uns
hat das je durchgemacht, was über ihn gekommen ist.
Aschure lehnte sich an den obersten Sternengott und
fand Trost in dessen Festigkeit. Was muß ich tun?
Er fürchtet die Macht des Sternentanzes.
Sie hat ihn ja auch furchtbar verbrannt.
Weil er sie falsch eingesetzt hat. Gewiß nicht ohne
Grund, und dennoch hat er sich schrecklich übernommen. Kein Wunder, daß die Energie ihn überwältigte und
zerstörte.
Die junge Frau schlang die Arme um ihn. Adamon
fühlte sich warm an, und sie spürte, wie seine Haut an
der ihren zitterte. Helft mir, ihm zu helfen.
Deswegen bin ich doch gekommen. Hört Ihr den
Sternentanz?
Gewiß.
Dann laßt mich Euch ein Geheimnis verraten, ein
heiliges Mysterium um Axis und den Sternentanz. Und
der Gott nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und
flüsterte es ihr ins Ohr.
Aschure lehnte sich zurück, in ihrem Gesicht stand
Fassungslosigkeit.
Stellt Euch nur vor, meine Liebe, was Ihr in vielen
Nächten in den Armen gehalten habt. Er spürte, wie sie
am ganzen Leib zitterte. Ihr habt die gleiche Beziehung
geteilt wie die, welche zwischen dem Mond und dem
Sternentanz besteht. Habt Ihr verstanden?
Die junge Frau lächelte zögernd. Ich glaube, ja.
Das alles wird sich Euch noch offenbaren. Denn
gerade diese Beziehung wird bewirken, daß Ihr ihm
helfen könnt.
Aber das begreife ich nicht.
Später, meine Teure, geduldet Euch. Euch steht noch
ein langer Weg bevor, und ehe Ihr Euren Gemahl
erreicht, müßt Ihr noch viel lernen, reifer werden und
innerlich wachsen. In vielen Nächten werde ich Euch
wieder besuchen, und in einigen davon werden die
anderen sechs Gottheiten mich begleiten. Doch häufig
werde ich allein zu Euch kommen.
Adamon ließ ihr Gesicht los und drückte sie wieder an
sich. Aschure, hat Euch schon einmal jemand gesagt, daß
Eure Augen von dem gleichen Graublau sind wie das
Meer, dessen Wellen sich an den Gestaden der Insel des
Nebels und der Erinnerung brechen? Und seid Ihr Euch
bewußt, daß Euer Haar dem Nachtschwarz ähnelt,
welches die Sterne umhüllt? Oder erklärte Euch jemand
einmal verzückt, daß Eure Haut …
Die junge Frau löste sich von ihm und lächelte: »Und
hat Euch schon einmal jemand gesagt, daß Eure Worte gar
zu süß sind und die Berührung Eurer Hände zu seidig ist?«
Adamon lachte, küßte sie und war auch schon verschwunden.
Als die junge Frau in ihr Gemach zurückkehrte, fand sie
dort Gewänder vor, die ihr noch nie zu Gesicht gekommen waren. Sie betrachtete und betastete sie ehrfürchtig.
Wenig später hob Aschure den Kopf und glaubte für
einen Moment, Xanons Duft noch in der Luft zu riechen.
Sie schloß die Augen und sog den Geruch genießerisch ein, bis sie sich aus ihrer Verzückung riß, im Raum
umsah und sich wieder erinnerte.
Vor genau einem Jahr hatte sie mit Caelum in dieser
Kammer in den Wehen gelegen. Wie lange das her war.
Ihr kam es mehr wie zehn Jahre und nicht nur eines vor.
Damals war sie noch nicht mehr als Aschure gewesen. In
jenen Tagen hatte Morgenstern noch gelebt, und Axis
war noch nicht bereit gewesen, ihr seine Liebe zu
gestehen. Und damals war Faraday ihre größte Feindin
und noch nicht ihre Freundin gewesen.
Und vor genau einem Jahr war die Jultidennacht angebrochen.
38 J ULTIDE
Faraday hatte das Bardenmeer von Arken bis zu den
Farnbergen und von dort über die Höhen bis zum
Farnbruchsee angepflanzt. Heute lag selbst die Schweinesenke, wo Jack und Yr den Jüngling Timozel einst im
Zauberschlaf zurückgelassen hatten, in Schatten und
sanftem Gesang da.
Während der letzten drei Tage hatten Faraday und die
Bäuerin die alten Städte der Ikarier in den Farnbergen
besichtigt und sich dabei von freundlichen Vogelmenschen führen lassen.
In den vergangenen tausend Jahren hatten die Achariten die Farnberge nur als ödes Mittelgebirge gekannt, in
dem es nichts gab außer den Unmengen Farnkraut, das
sämtliche Hänge bedeckte. Aber in den Tagen des alten
Tencendor und auch heute wieder nannten die
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