Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
wiederhergestellt und ein wichtiges Verbindungsstück zu den alten
Gehölzen geschaffen.
Und so sang die Baumfreundin zu den Kleinen und
sprach freundlich mit ihnen, während sie sie aus ihrem
Töpfchen nahm und in den Boden einsetzte. Hinter ihr
kam die Bäuerin und summte den Schößlingen ihr altes
Wiegenlied vor. Und am Schluß trotteten die braven
weißen Esel und achteten sorgfältig darauf, mit ihren
Hufen oder den Wagenrädern nicht die Bäumchen zu
beschädigen.
Am späten Nachmittag hatte Faraday ihre Arbeit abgeschlossen und trat schließlich auf die Wiese vor dem
Waldrand. Die Awaren, sechs Frauen und ein Kind, hatten
geduldig gewartet, während die Edle sich durch die Senke
zu ihnen vorarbeitete. Jetzt standen sie in stiller Freude da,
und ein paar von ihnen strichen ihr langes Gewand oder
ihr Langhemd etwas verlegen gerade.
Nur das Kind war nicht so zurückhaltend. Es riß sich
von seiner Mutter los und rannte über die Lichtung.
»Faraday!« rief die Kleine, und die Edle, die sie jetzt
erkannte, lief ihr entgegen, nahm sie in die Arme und
wirbelte sie herum.
»Schra!«
Das Awarenmädchen war in den zwei Jahren, in denen
Faraday sie nun nicht mehr gesehen hatte, sehr gewachsen.
Mindestens doppelt so groß wie früher, war Schra auch
schlanker geworden. Aber das liebe Lächeln war ihr ebenso
erhalten geblieben wie das flüssige Dunkel ihrer lebhaften
Augen, an das sich Faraday noch gut erinnern konnte.
Die Kleine schlang der Edlen die Arme um den Hals
und gluckste vor Lachen, als ihre Freundin sich wieder
und wieder fröhlich mit ihr drehte. Das Band, das die
beiden verknüpfte, seitdem Ramu sie der Mutter vorgestellt hatte, schien auch nach dieser langen Trennung
noch zu bestehen.
»Schra!« ertönte es wieder von Faradays Lippen, aber
diesmal leiser und sanfter. Dann drückte sie das Kind fest
an sich und setzte es ab. Die sechs Waldläuferinnen
ließen sich von Schras Beispiel ermutigen, kamen
ebenfalls näher und standen nun nur noch drei Schritte
von der Edlen entfernt. Nun spürte Faraday aber, das
irgend etwas diese Frauen zu bedrücken schien.
An der Spitze der Awarinnenschar stand eine Magierin, eine kleine und zierliche Frau, die gleichwohl
ebensolche Macht ausstrahlte, wie sie damals Ramu
umgeben hatte. Trotz der Anspannung in ihrem Blick
hatte die Magierin einen kühlen und entschlossenen
Gesichtsausdruck.
»Baumfreundin«, begann die Führerin, verbeugte sich
vor ihr und legte beide Hände an die Stirn. »Ich grüße
und ehre Euch. Möget Ihr allzeit Schatten finden, um
darin zu ruhen, und mögen die Pfade des Heiligen Hains
Euren Füßen stets offenstehen.«
Damit richtete die Awarin sich wieder auf und stellte
sich vor: »Ich bin Barsarbe, Magierin der Waldläufer.«
Die Edle verbeugte sich in der gleichen Weise vor der
Frau, trat dann jedoch zu ihr und küßte sie auf beide
Wangen. »Seid mir gegrüßt, Barsarbe. Ich heiße Faraday
und bin überglücklich, Euch und den Euren endlich
begegnet zu sein.«
Die Magierin wirkte verwirrt, weil man in ihrem Volk
die Sitte nicht pflegte, sich zur Begrüßung zu küssen, aber
nachdem die erste Verblüffung überwunden war, stellte
sie die anderen Waldläuferinnen etwas förmlich vor:
»Dies sind meine Gefährtinnen, Baumfreundin, die
Magierinnen Merse und Almar und dazu Ellen und Kriah
vom Flachstein-Klan sowie Relm vom Tannenpfad-Klan.«
Faraday sprach zu jeder von ihnen die althergebrachten Grußworte und küßte sie. Dann winkte sie der
Bäuerin zu vorzutreten.
»Dies ist meine liebe Freundin und gute Kameradin,
Frau Renkin. Sie hat sich aus dem nördlichen Arkness
auf den Weg zu mir gemacht.«
Barsarbe runzelte die Stirn und sprach schon, noch
bevor die Bauersfrau Gelegenheit fand, die Awaren zu
begrüßen: »Baumfreundin, ich hätte nicht gedacht, daß
eine Ebenenläuferin sich dazu eignen würde, Euch bei
Eurem Tun zu unterstützen.«
Faraday antwortete kühl: »Ich gehöre selbst zu den
Ebenenläufern, Magierin, und dennoch hat die Mutter
meine Dienste gern angenommen. Gleich ihr erfreue ich
mich der Hilfe dieser guten Seele. An manchen Tagen
spricht Frau Renkin sogar mit der Stimme der Mutter zu
mir, und jeden Tag singt sie den Schößlingen ihr Lied
und weckt so in ihnen die Kraft und den Mut zu wachsen.
Wenn ich heute gesund und munter vor Euch stehen
kann, dann habe ich das in hohem Maße Frau Renkin zu
verdanken.«
Barsarbe errötete ob dieses Tadels der Baumfreundin.
»Verzeiht
Weitere Kostenlose Bücher