Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
Körper in Fesseln aus kaltem Stahl zu schlagen. Er konnte
spüren, beinahe sehen, wie der Geisteroffizier tief unter
ihm aufschrie. Wie war der Zerstörer bloß bisher mit
solcher Unfähigkeit seiner Befehlshaber fertiggeworden?
Der Jüngling berührte die Gedanken einer Gruppe von
dreißig Greifen, die nach Westen schwärmten, und
schickte sie hinter den Ikariern her. Aber ich will, daß
einer oder zwei entkommen! gebot er. Timozel verfolgte,
wie die Greifen seinen Befehl verstanden und ihm
gehorchten. Wenigstens diese Kreaturen begriffen das
Prinzip des unbedingten Gehorsams.
Die Vogelfrau an Plusternests Seite spürte das Herannahen
der Himmelsbestien schon, noch bevor sie diese zu sehen
bekam. Sie warf sich nach links und tauchte mit einem
wortlosen Schrei ab. Als der Greifenschwarm die Ikarierstaffel angriff, brachen die Vogelmänner und -frauen aus
ihrer Formation aus und versuchten jeder einzeln, den
Greifen zu entkommen und das eigene Leben zu retten.
Einer nach dem anderen fühlten sie die Krallen der
Angreifer im Rücken und spürten, wie sich riesige Beine
um ihre Körper schlangen und Klauen und rasiermesserscharfe Schnäbel in ihr Fleisch eindrangen.
Plusternest nahm den plötzlichen Wirbel aus Luft und
heißem Atem wahr, als die Bestie aus dem Himmel auf
ihn herabstürzte. Verzweifelt drehte er sich um und
tauchte in der Hoffnung ab, beweglicher zu sein als die
Kreatur, die ihn verfolgte. Er langte nach einem Pfeil aus
dem Köcher auf seinem Rücken, aber als sich seine Hand
eben um den Schaft schloß, ereilte ihn die tödliche
Umklammerung der Himmelsbestie.
Der Staffelführer schrie, aber das war auch schon
alles, was er noch tun konnte. Einer seiner Arme hing
verdreht und eingeklemmt unter dem Körper der Kreatur,
die sich in seinen Rücken krallte – er wand sich vor
Todesqual, als die unnatürlichen Kräfte, die seinen Arm
verdrehten, schließlich Knochen und Sehnen bersten
ließen. Seine freie Hand griff wirkungslos nach einer der
großen Klauen, die seine Brust und seinen Bauch
umschlossen. Seine Flügel flatterten nutzlos; nur die
Flügel des Greifen hielten ihn noch in der Luft.
Seitlich von sich sah der Staffelführer einen weiteren
Greifen, der eine Vogelfrau mit seinen todbringenden
Klauen packte. Die Bestie brauchte nur den Sekundenbruchteil, den Plusternests Blick auf der Frau haftete, um
mit seinen Krallen durch Fleisch und Blut zu pflügen.
Vor den Augen ihrer Kameraden löste sich die Luftkämpferin buchstäblich in einen Schauer aus Blut und
Fleischfetzen auf.
Das letzte, was er zu sehen bekam, bevor das Entsetzen ihm die Augen verschloß, war der Körper seiner
Kameradin, der vom Himmel fiel.
Der Greif verstärkte seinen Griff, und Plusternest
wurde sich bewußt, daß die Klauen jeden Augenblick
damit beginnen würden, ihn in Stücke zu reißen.
Und genau das taten sie auch, aber die Wunden, die
sie rissen, waren nicht tödlich. Ein schmerzliches
Wimmern entrang sich Plusternests Kehle, als er die
Klauen des Greifen in die Muskeln seiner Brust und
seines Bauches eindringen spürte, aber sie bohrten sich
nicht tief genug, um ihn umzubringen. Nachdem der
Greif ihn einige Minuten lang bearbeitet hatte – langsam,
um sein Vergnügen auszudehnen –, ließ er sein Opfer
unbegreiflicherweise los. Plusternest stürzte fast hundert
Schritt in die Tiefe, ehe er sich soweit erholte, daß er die
Flügel ausbreiten und sich dazu zwingen konnte, so
schnell wie möglich nach Süden zu fliegen.
Fünf der Höllenkreaturen jagten ihm nach und trieben
etliche Meilen lang ihr grausames Spiel mit ihm.
Schluchzend vor Angst erwartete Plusternest, daß ihn
jeden Moment eine der Bestien erwischte und kurzen
Prozeß mit ihm machte.
Aber das taten sie nicht. Schließlich ließen sie von ihm
ab, und als der Staffelführer sich umdrehte, erblickte er
nur den leeren Himmel. Greifen wie Ikarier waren
verschwunden.
Als einziger seiner Einheit hatte er überlebt.
Den unbrauchbaren Arm an die Brust gedrückt, bewegte sich Plusternest langsam gen Süden. Der Flug
würde einige Tage in Anspruch nehmen, und Erschöpfung und das Gift aus seinen infizierten Wunden würden
ihn vielleicht umbringen, ehe er sich endlich wieder in
Sicherheit befand.
In seinen klareren Momenten fragte sich Plusternest,
warum die Greifen ihn am Leben gelassen hatten.
Als hätte die Flucht der Vogelmenschen ihnen das Signal
dazu gegeben, begannen die Eiswürmer nun mit ihrem
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