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Das Vermächtnis

Das Vermächtnis

Titel: Das Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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Glaux-Schwestern verließ, war äußerst ungemütlich. Der Schneesturm war abgeflaut, aber ein eisiger Regen prasselte vom Himmel. Wo das Meer nicht zugefroren war, herrschte starker Seegang. Als ich zu den Eiszehen-Klippen kam, ächzte und knirschte das Packeis schaurig.
    Der Palast lag südwestlich der Klippen. Wind und Wetter hatten Gestein und Eis zu Bögen, Brücken und Türmen gemeißelt. Hinter diesem „Tor“ erstreckte sich ein Labyrinth aus miteinander verbundenen Schluchten. Der Palast war so schwer zu finden, dass er ein ideales Versteck bot. In Kriegszeiten wie diesen war er eine nahezu uneinnehmbare Festung.
    H’rath, Siv und ich hatten ihn schon vor vielen Jahren entdeckt. Nur die treuesten Diener des Königspaars wussten von diesem Zufluchtsort, und sogar sie verirrten sich oft unterwegs. Auch die Hägsdämonen hatten den Palast trotz ihrer magischen Kräfte noch nicht aufgespürt.
    Als ich über die eisbedeckte Landschaft flog, hielt ich zwischen den Klippen nach einem schwarzen Band Ausschau. Es musste gleich auftauchen … da wehte mir plötzlich Krähengeruch um den Schnabel. Hägsdämonen! Ich durfte die Ungeheuer auf keinen Fall zu Sivs Versteck führen.
    Als ich gelandet war, tüpfelte ich sofort und richtete mich hoch auf. Dann blieb ich reglos stehen und gab mir Mühe, wie einer der zahllosen Eiszapfen um mich herum auszusehen. Der Krähengestank war inzwischen so stark, dass ich fürchtete, mir käme das Gewölle hoch. Das hätte mich natürlich verraten, darum schluckte ich energisch. Doch als ich das unverwechselbare Peitschen von Dämonenfedern vernahm, drehten sich mir beide Mägen um.
    Aus dem Augenwinkel erspähte ich erst einen Rückenkamm aus kurzen Federn und dann einen überlangen Schwanz. Ist das etwa Penryck? Glaux steh mir bei! Die Luft brauste, als der Dämon so dicht an mir vorbeiflog, dass ich ihn mit dem Fuß hätte berühren können. Ich konnte sogar die Halb-Hägs in seinem Gefolge erkennen. Diese kleinen Parasiten sind zwar längst nicht so mächtig wie vollwertige Hägsdämonen, dafür sind sie durch und durch böse. Ihre Schnäbel enthalten ein Gift, das alles Ungeziefer im Gefieder der Hägsdämonen abtötet. Von diesem Ungeziefer ernähren sich die Halb-Hägs. Auf diese Weise bilden sie mit den Hägsdämonen eine Symbiose.
    Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Penryck endlich verschwunden war. Zum Glück blieb ich unbemerkt. Die Halb-Hägs haben schlechte Augen, was angeblich daran liegt, dass sie mit den Fledermäusen verwandt sind.
    Ich möchte hier kurz anmerken, dass Hägsdämonen und Halb-Hägs ganz anderes Gefieder haben als echte Eulen. Der Unterschied ist ungefähr so groß wie der zwischen einem Bärenfell und einer Schlangenhaut. Dämonengefieder ist glänzend schwarz, aber statt der feinen Federfransen, die uns Eulen so lautlos dahingleiten lassen, haben Dämonen struppige, verklebte Federsäume. Beim Fliegen wirbeln sie die Luft auf und verursachen ein pfeifendes Geräusch. Das hat gewisse Vorteile, denn so hört man die Dämonen schon von Weitem kommen. Andererseits hilft es einem nicht sehr viel, denn ihre Schnäbel sind scharf wie Eisklingen und ihre Krallen spitz wie Eisnadeln. Alle Waffen, die wir in N’yrthgar anfertigten, wurden einst erfunden, um sich gegen Hägsdämonen zu verteidigen.
    Als Penryck außer Sichtweite war, schlüpfte ich durch einen Spalt in der Eiswand und bahnte mir einen Weg durch das Labyrinth. Der Wind jagte dunkle Wolken über den Himmel, doch der Mond stand im vollen Schein. Immer wieder fiel sein Licht auf das Issen klarren beziehungsweise Klareis. Es gab wohl keinen schöneren Anblick auf der Welt als den Palast bei Mondschein. Jeder Eiskristall und jede Schneeflocke funkelte, als wären die Sterne selbst vom Himmel gefallen.
    Dann stand ich endlich vor ihr. Die Königinwitwe saß zitternd auf ihrem Ei. Ihre Brust war beinahe kahl. Sie hatte sich fast alle Dunenfedern ausgerupft, um damit das Nest aus harschem Schnee auszupolstern. „Schneddenfyrr“ nennt man im baumlosen Norden diese Bodennester. Sie halten die Eier erstaunlich warm. Auch Siv zitterte nicht etwa vor Kälte, sondern vor Angst. Ihre braungoldenen Augen waren dunkel vor Schmerz und Kummer. Schließlich hatte sie mitansehen müssen, wie ihr Gatte grausam umgebracht worden war. Der Söldner im Met-Baum hatte gemeint, wenn Siv nicht gerade gebrütet, sondern an der Schlacht teilgenommen hätte, wäre sie sicherlich flügelstarr geworden und

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