Das Vermaechtnis
Nun, mein geliebter Sohn, hast du wieder Futter für deine Gedanken bekommen – ich darf gespannt sein, mit welchen Fragen du das nächste Mal heranschwirrst. Deine Fragen sind wie das Wasser des Nil, die haben kein Ende, und beides ist der Segen der Götter.“
Er verabschiedete ihn liebevoll und verzichtete dabei auf die königlichen Formalitäten.
Gimra-Thutmosis lachte und hüpfte vergnügt davon und beide, sein königlicher Vater und Rosuran-Eje , der königliche Berater, sahen ihm hinterher bis er hinter der letzten Säule verschwand. Voller Besorgnis. Ihre Besorgnis war berechtigt, denn schon wenige Tage danach sollte er nicht mehr so herumspringen können.
Wenige Wochen später verstarb der kleine Prinz. Er hatte Fragen bis zuletzt, nur die letzte Frage, die konnte ihm niemand beantworten – außer den Göttern. Dies war nun drei Jahre her.
Heute wollte er es wissen, wie es weiterging mit Tameri , wollte, dass seine Träume und Vorahnungen beiseite geschoben und er wieder zu ruhigem Schlaf kommen würde.“
„Ah, nun endlich – wir haben es tatsächlich geschafft!“ muss Isis einfach mal bemerken und Aton zuckt nur unschuldbewusst mit seinen göttlichen Schultern.
„Darin bestand doch wirklich keinerlei Zweifel! Nun denn, an jenem Tag früh morgens, noch vor allen kommenden Ritualen des Sed-Festes, noch in absoluter Dunkelheit, ließ Burgon-Amenhotep III wie verabredet eine Weissagerin kommen. Eine hübsche Frau von edler Gestalt stand nun vor ihm.
„Schließ die Augen, großer Pharao und befreie dich von deinen Gedanken“, sagte sie in mildem Tonfall, fast wegtragend. Sie hielt ihre rechte Hand auf seine Stirn, genau zwischen seine Augen und verweilte lange in dieser Position. Danach führte sie ihre rechte Hand gegen ihre linke Hand und verweilte wieder in dieser Haltung. Dann sagte sie:
„Komm nun mit, großer Pharao Burgon-Amenhotep III und setze dich hier hin.“ Sie legte ein Kissen auf den mit schönen Ornamenten bemalten Fußboden und Burgon-Amenhotep III setzte sich. Mit ruhigen Bewegungen stellte sie eine Schale vor ihm auf, gab glühendes Holz hinein und holte aus ihrem Beutel, der an ihrem Gürtel hing, eine Hand voll Kräuter hervor. Sie gab diese Kräuter-Mischung auf die Glut. Weihrauch war dabei, und Gerüche, die er nicht kannte. Angenehm. Tragend. Rauch entwickelte sich, sehr starker Rauch, und die Weissagerin sprach zu ihm:
„Großer Pharao Burgon-Amenhotep III, blicke nun in den Rauch und atme tief durch. Tu dies drei Mal und dann schließe wieder die Augen. Stelle dann deine Frage. Das, was ich sehe, wirst auch du sehen.“
Sie setzte sich ihm gegenüber, streute eine weitere Hand voll Kräuter in die Glut und gab ein Zeichen zu beginnen. Sie erkannte an seinen Augen, dass der Zeitpunkt richtig war, und so atmete er drei Mal tief ein. Schon beim dritten Mal schien sich der Schleier des Rauchs zu teilen. Doch sehen konnte er noch nichts außer Helligkeit, Licht.
„Was wird danach sein mit Tameri , nachdem ich zu Osiris gegangen bin?“, stellte er seine Frage in das Licht.
Er sah nichts, aber ganz leise, als würde ein Gesang von ganz weit her zu ihm kommen, hörte er eine zarte Stimme. Die Worte, er verstand sie, sie trugen ihn weiter fort:
‚Schön erhebst du dich
Am Horizonte des Himmels,
lebender Aton,
mit dem alles Leben beginnt.
Bei deinem Aufgang im Osten erfüllst jedes Land du
Mit Schönheit.
Fürwahr: Gütig bist du und groß
Hochstrahlend ob jedem Land.
Deine Strahlen umarmen die Erde
Bis zum Rand der Schöpfung.
Du bist Re, wenn du ihre Grenzen erreichst,
wenn du sie niederbeugst für deinen geliebten Sohn.
Fern bist du, doch deine Strahlen sind auf Erden;
Du scheinst auf die Gesichter, doch unerforschlich ist dein Lauf.‘ [14]
Dann sah er Farben, die sich mischten und sich zu Bildern zusammenfügten. Figuren entstanden, die immer schärfer wurden. Nun sah er ihn, seinen Sohn, Choi-Amenhotep IV wie er auf dem Boden lag, im Sand, in der Wüste, kein Mensch, kein Haus in der Nähe, nur ein Mann, der neben ihm kniete und ihm Arme und Beine abrieb. Er schien ohne Bewusstsein, zuckte und wand sich hin und her. Der Mann hatte ihm ein Stück gerollten Stoff zwischen die Zähne geklemmt und der ganze Körper war nass vor Schweiß und zugleich voller Sand. Er wirbelte im Sand bis er erschöpft liegen blieb. Da stand plötzlich noch ein Mann, deutlich kräftiger als der, der neben dem bewusstlosen Thronfolger hockte, mit einem Speer in der Hand.
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