Das Vermaechtnis
und braucht noch immer seine Zeit, um dies gewahr zu werden. Das ist einer der Gründe, weshalb er mehr und mehr in sich gekehrt ist.
Außer dem Neujahrsfest gibt es nur wenige Verpflichtungen für ihn. Manches Mal ist er wie von Sinnen und oft gar tagelang verschwunden, um sich zu sammeln. Wie im Traum. Denn es bleibt ihm nichts anderes übrig als sich zu entscheiden, entweder für die Abkehr und den Wahnsinn – oder – eben die Zukunft zu akzeptieren und mit ihr den Untergangs all dessen, was er all die Jahre seiner Herrschaft hat errichten lassen, um dann letztendlich über dies zu seiner Rückbesinnung zu kommen. Und zu Gott. Um seinen Frieden zu finden, den er unbewusst immer suchte und noch sucht. Indem er von seiner Höhe herabkommt, langsam all seine Schätze für die Götter, für Babylon , die er in sich personifiziert sieht, indem er all dies loslässt, findet er in kleinen Schritten wieder zu sich selbst, zu seiner eigenen Barmherzigkeit, und findet auch zu seinem Gott, der Gott, der barmherzig ist.
Dann kann er in Frieden mit sich und der Welt gehen – ein wahrhaft großer König.
Daher auch die vielen Gespräche mit ihm. Noch ist er nicht ganz so weit.“
„Es ist eine schwere Zeit für ihn, unseren König Nebukadnezar , möge Marduk , mögen alle Götter, auch Jehovah sein Leben verlängern!“, sagt Elieanor-Adda-Guppi und die beiden Männer nicken.
„Ich glaube, dass er seit unserer ersten Zusammenkunft hier im Palast und durch das Kennenlernen unseres Gottes Jehovah im Laufe der Jahre über diesen mal mehr mal weniger ins Grübeln geriet. In letzter Zeit lässt er oft nach mir rufen, und wir sprechen über das Wort unseres Gottes. All die Jahre konnte und durfte er sich damit auch nicht eingehender auseinandersetzen, doch nun ist er schon älter. Sein Zweifel an seinem eigenen Glauben sitzt tief. Ihn plagt eine innere Zerrissenheit. Auf der einen Seite ist Marduk und die Priester und sein Sohn, der höchste aller Priester, und mit ihnen großer Druck. Auf der anderen Seite ahnt er nun, dass da ein Gott ist, der ihm den Frieden schenken kann, den er immer suchte“, sagt Salana-Daniel , zieht sich an seinem Stock vom Schemel hoch, wiegt seinen Kopf leicht und verabschiedet sich:
„Die Zeit rinnt wie Sand durch die Finger, wir sind schon in der sechsten Stunde nach Sonnenaufgang. Ich danke euch sehr für eure Offenheit. Ich genieße eure Freundschaft! Doch ich will jetzt noch ein wenig weiterziehen, bevor ich wieder zum Palast zurückgehe. Am besten gleich auf zum nächsten schattigen Ort. Jetzt müsste man im Sommerpalast draußen sein, dort, wo die untersten Stockwerke den Wind durchströmen lassen, dass es einem kühl wird!“
Alle stehen auf und verabschieden den Propheten.
„Du wirst gleich mit dem Enûma elîsch anfangen. Ich werde von meinem Stand aus zuhören und freue mich schon darauf. Bis später“, verabschiedet sich Elieanor-Adda-Guppi bei Tanobakt und geht zu ihrem Stand.
Es ist um die Mittagszeit. Drei Stunden etwa wird es jetzt ruhiger sein. Nur wenige verirren sich zur größten Hitze auf dem Marktplatz. Viele Verkäufer liegen im Schatten und ruhen sich aus, was Tanobakt auch gern getan hätte, doch sein Bein erinnert ihn an sein Versprechen. Bis jetzt waren außer der Warnung des Kamels keine weiteren Vorkommnisse gewesen. Er will die Götter auch nicht reizen, denn sein Verkauf war heute Morgen schon sehr gut, dank eines großen Auftrages aus dem Palast.
Außerdem, so denkt er bei seiner Händlerseele, wäre sein Vortragen bestimmt auch gut für den Verkauf, denn sie würden ihn an seinem Stand wiedererkennen. Wenn die Leute einen kennen, so kaufen sie gerne ein. Er blickt hinüber zu Kyr und hat eine Idee:
„ Kyr , es wäre mir eine große Freude, wenn du mich mit deiner Harfe begleiten würdest. Ich weiß, dass du deine Harfe sprechen lassen kannst und du hast sie sicher mit“, ruft er hinüber.
Kyr strahlt sofort aus seinen himmelblauen Augen. Er kommt sehr selten zum Harfespiel, das er in seiner Kindheit schon wie ein Meister beherrschte. Er spricht kurz mit Choi , seinem Nachbarn mit den Götterstatuen, damit dieser auf seinen Stand mit aufpasst während er Tanobakt begleitet.
„Ja, sehr gern, wo wolltest du es denn vortragen?“, ruft er glücklich zurück.
„Vorn an der Mauer, ich gehe eben vor, um mit Burgon zu sprechen, dann laufe ich über den Markt, um unsere Darbietung kundzutun.“
Direkt am Stand will er bei der Hitze nicht stehen,
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