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Das Vermaechtnis

Das Vermaechtnis

Titel: Das Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Scherer-Kern
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umringten die beiden.
    Manche sagten, Kyramos hätte gesagt ‚Ich kann es nicht tun’. Keiner weiß warum. Er ist doch Sportler und er kennt den Kampf, genauso wie Ushlaranides. Sie sind zu diesem Kampf geboren, von klein auf! Sie kennen es doch nicht anders! Das sind doch Kampfpakete! Wie Tiere. Sie sind die erfahrensten Kämpfer! Der Sieg bedeutet oft den Tod des anderen und wie oft hatten beide schon gesiegt – sehr oft! Sie lauern den ganzen Kampf auf einen Fehler des anderen.
    Hanaskerios Ich glaube, da war noch etwas anderes. Aber was, das weiß keiner.
    Jaskularias Wann hat er denn endlich reagiert?
    Hanaskerios Die, die vorn standen, sagen, Ushlaranides hätte zu Kyramos gesagt, gehaucht ‚Es ist mir eine Ehre in diesem Kampf zu sterben. Du gibst mir diese Ehre.’ Ganz ohne zu stottern hätte er es gesagt, nicht so, wie sonst, wo er nicht einmal einen kurzen Satz fließend sprechen konnte. Als sei ein jahrelanger Druck in diesem Augenblick von ihm gewichen. Er war völlig frei.
    Dann geschah das Unfassbare – er bäumte sich auf, warf den überraschten Kyramos nach hinten, ergriff dessen Fuß und brach ihm die Zehn. Alle hörten die Knochen knacken. Knack, knack, knack, knack, knack. Kyramos sank mit einem Aufschrei zu Boden, unfähig, weiter zu kämpfen. Der Kampf war damit beendet. Ushlaranides sank zusammen, tot. So etwas gab es noch nie zuvor. Welch eine Dramatik! Und damit war es noch nicht genug…
    Hanaskerios Der Vater von Kyramos stand ganz vorn und sprach über seinen zusammengesunkenen Sohn: ‚Dieser Mann war mein Sohn. Er soll nicht mehr in mein Haus zurückkehren. Als Sportler ist er eine Schande für mein Haus! Jetzt hat er genug Zeit für seine Musik!“
    Kyramos, als er später erwachte und sich gereinigt hatte, ging auch nicht mehr in das Haus seines Vaters zurück. Er sagte, er hatte gewusst, was kommen würde, als er in Ushlaranides’ Augen geblickt hatte. Die Pythia hätte es ihm vor den Wettkämpfen prophezeit.
    Jaskularias Jetzt verstehe ich, zwar noch nicht ganz, aber ich verstehe mehr, wie es zu seinem tragischen Ende kam.
    Hanaskerios Ganz wird es wohl nie jemand verstehen. Es war solch ein kraftvoller, schöner Kampf! Die beiden so unterschiedlich anzusehen, Kyramos mit seinem blonden Lockenkopf, seinen Sonnenflecken im Gesicht und seinen humorvollen blauen Augen, durchtrainiert. Ushlaranides, kahl geschoren, kräftig, größer als Kyramos. Jeder beherrschte die Kampfestechnik wie kein anderer. Sie waren beide unbezwingbar in den Vorkämpfen gewesen. Sie kämpften jungen Göttern gleich. Heldenhaft!
    Gimraios Aber das Ende war nicht heldenhaft. Heldenhaft nur für Ushlaranides. Ich kann Kyramos Vater verstehen, dass er so reagierte. Er schämte sich, dass sein Sohn zögerte, nicht ein klares Ende zeigte, sondern im Gegenteil noch aufgeben musste, bevor der Kampf zu Ende war, bevor Ushlaranides zum Gefilde der Seligen geleitet wurde. Ushlaranides erhielt die Ehre des Sieges und der Kampfrichter bekranzte ihn an Ort und Stelle.
    Alle Gefühle der Zuschauer lagen frei, die einen zerrissen sich die Kleider, jubelten, warfen die Arme hoch. Die anderen standen erschüttert, konnten es nicht fassen, wussten nicht was recht war und was nicht. Kyramos hätte diese Schwäche nicht zeigen dürfen.
    Schwäche kommt nicht aus dem Körper, Schwäche kommt aus dem Geist. Dass er sich einen Tag darauf erhängt hat, ist wohl die einzige Tat, die ihm die Schmach abnahm, die ihn erwartet hätte.
    Hanaskerios Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr meine ich, dass der Kampf hätte tatsächlich fortgeführt werden sollen. Den Stockwerfer hätte man vor ein Gericht stellen sollen. Es war nicht gerecht.
    Gimraios Gerecht, gerecht! Hier geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um Kampf, in dem der Stärkere siegt. Ein Kämpfer muss auf jede Situation gefasst sein. Wenn er es nicht ist, dann hat er eben verloren. Das ist der Sport. So sind die Regeln.
    Hanaskerios Die Regeln besagen auch, dass Eingriffe von außen unter Strafe verboten sind. Der Wurf des Stockes war ganz deutlich ein Eingriff.
    Gimraios Ein Stock kann immer herumliegen, die Kämpfer sind keine Frauen, die feinen Sand unter ihren zarten Füßen brauchen.
    Jaskularias Doch Sport sollte nicht Mord sein, dafür sind Kriege da, da geht es um das Verteidigen des Vaterlandes und der Gegner ist ein wahrer Feind. Doch hier ist der Gegner kein wahrer Feind, sondern lediglich ein Gegner im sportlichen Sinne eines Wettkampfes.
    Gimraios Die

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