Das Vermaechtnis
gesehen. Alle Ideale, dachte ich, sind Utopien, ja, Träumereien eines vergeistigten Mannes.
Gimraios Wie kann solch harte Kritik wider dich selbst aufkommen?
Tanobakt-Platon Ich habe erkannt, dass ich oft von meiner oder unserer Art zu denken ausgehe, so lange zu denken, bis das Wahre gefunden wird und selbst darüber noch weiter hinaus. Sich selbst zu hinterfragen, immer wieder, jedes Für und Wider sorgfältig abwägen, alles von allen Seiten beleuchten.
Doch diese Männer. Männer der Politik, des Staates, der Stadt, denken nicht weiter. Nicht weiter als bis zu ihrem eigenen fetten Bauch. Nicht weiter als bis zu ihrer Bequemlichkeit. Ihr Kopf scheint in einer Kiste zu stecken, sodass sich ihre Gedanken nur in einem winzigen Kreis drehen können, vor allem um sich selbst. Gleich der Bewegungen des Alls um die Zentralsonne. Ich zweifle, ob sie überhaupt denken oder der Kopf einfach nur eine Hülle mit Nichts ist. Wenn nämlich jemand daherkommt und diese Bequemlichkeit stört, gar kritisiert, dann wird es ihnen unbequem. Da reagieren sie empfindlich.
Es geht dann nicht um die Stadt oder um den Staat, diese dienen nur als Vorwand. Es geht ihnen allein um ihre kleine Macht und ihren kleinen fetten Bauch. Staat und Stadt nutzen sie für ihre eigenen Zwecke aus.
Es ist Schein, kein wahres Sein !
Salana-Gorgias Sie können einem zur Verzweiflung treiben, wenn man sich auf sie einlässt. Die wenigsten bleiben sich selber treu.
Tanobakt-Platon Sokrates – ein schmerzlicher Verlust.
Salana-Gorgias Du hast viel gelernt von Sokrates, doch dein Drang zum absoluten Wissen scheint mir, unterscheidet euch deutlich. Deine Lehren, die du auch konsequent nur mündlich übermittelst, beruhen zumeist auf Prinzipien, die als gesichertes Wissen gelten. Sokrates hingegen forderte seinen Gegenüber zu Dialogen mittels Fragen, um deren Meinungen und Hypothesen herauszufinden, ja förmlich herauszukitzeln. Er selbst benannte seine Art der Gesprächsführung als Hebammenkunst , denn seine Mutter war Hebamme, auf die er sehr stolz war. Mit diesem Begriff bezeichnete er es als eine Art Geburtshilfe , die er den anderen gab, um die Wahrheit, die Ideen, die sich hinter allem verbergen, an die Oberfläche, ans Licht zu bringen. Sie liegen in der angeborenen Vernunft jedes Menschen bereit.
Sokrates’ Form, Dialoge zu führen, war meisterhaft, denn auch mir verwirrte er so manches Mal nach mehreren gezielten Fragen den Kopf. Ich erwischte mich dabei, dass ich plötzlich genau das Gegenteil von dem behauptete, das ich zuvor aussagte. Ich habe durch ihn viel dazugelernen dürfen!
Ich bezeichne mich selbst nicht als Philosoph, wenn ich neben ihm stehe. Das Spiel oder der Sport mit den Worten, mit Sprache und Rhetorik, das hat uns stark verbunden. Doch auch andere Ideen, die den Menschen betrafen, den Menschen und seine Rolle in der Gesellschaft, in der Rechtsordnung und die Bedeutung und Inhalte von Bildung. Und wir hatten auch eine ähnliche Einstellung den alten Mythen gegenüber.
Gimraios Du warst anwesend im Gericht, wie verhielt er sich? Magst du uns davon berichten, werter Freund?
Tanobakt-Platon In der Rede meines großen Lehrers, und er war weit mehr für mich als dies, er war ein Vorbild, hat er geschildert, wie es ist. Die Wahrheit. Aus seiner Sicht. Und sie ist nicht frevelhaft, nicht böse, nur wahr, gut und edel. Eben das kostete ihn sein Leben – welch unglaubliche Fehlentscheidung des Gerichts! Er rechtfertigte sein Leben, offen, auf dass alle es sehen konnten. Doch sie wollten es nicht sehen.
Es gab den Orakelspruch zu Delphi , dem Tempel des Apollon , der Sokrates veranlasste, das Wissen unter seinen Mitmenschen zu prüfen, um sich zu vergewissern, was der Gott des Lichts gemeint hatte. Denn der Gott des Lichts ließ durch die Pythia sagen, dass es keinen gäbe, der weiser sei als er. Und dies zu prüfen machte er zu seiner Lebensaufgabe.
So zog er durch die Gassen, zu den Versammlungshäusern und Märkten, um mit den Menschen zu sprechen, damit er herausfände, was er noch von ihnen lernen könne. Er stellte sich selbst als Nichtwissenden und fragte seinen Gegenüber so lange, bis er all sein Wissen preisgegeben hatte. Seine geduldig Antwortenden stellten stets erneut fest, dass sie doch nicht weiser waren als er, denn er führte sie jedes Mal an die Grenzen ihres Wissens. All sein Leben hörte er nicht auf, dies zu untersuchen. Jedem zeigte er damit auf, welchen Wissensstand er hatte und dass jeder noch weit
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