Das Vermaechtnis
dass er sie nicht mehr haben wollte. Doch das war falsch, was sie dachte, denn alle sind hier so, dass niemand zu etwas gedrängt wird, was er nicht wirklich will! Das habe ich selbst oft gemerkt. Erst war ich irritiert, denn ich dachte, ich hätte etwas falsch gemacht und man wendet sich ab von mir und es sei eine Art Strafe.
Doch dann erklärte mir Kahuna - Koī , dass dies eine Geste der Freundschaft sei, jemandem seinen Raum zu lassen, den er braucht, und auch seine Zeit.
Ich weiß noch, ganz am Anfang hatte Kahuna - Koī mich einmal gefragt, woher ich komme und ob ich mich erinnern könne. Und ich wollte nicht antworten und bin weggelaufen. Ihr wart nicht böse mit mir oder auf mich, dass ich so lange weg war, nur voller Sorge. Wie meine Eltern, wie meine Eltern, so seid ihr zu mir. Kahuna - Koī hat nie wieder nachgefragt, er hat mir einfach Zeit gegeben, ohne mich zu drängen. Du hast mir so vieles erklärt, ohne mich zu drängen oder von mir zu erwarten, dass ich etwas tu.
Hier braucht man so wenig Angst zu haben, aber ich habe schon Angst, wenn ich nur daran denke, dass es plötzlich wieder anders sein könnte. Auch über Angst habe ich hier schon viel gelernt. Wenn sich hier einmal Angst einschleicht, dann versucht man, sie zu verstehen und hört, was sie sagen will. Das will ich auch lernen. Ich hatte noch nie wirkliches Vertrauen. Nur so etwas wie ein Gefühl, ganz tief im Innern, dass ich überall, wo ich bis jetzt war, nicht gut aufgehoben war. Nur hier! Nur hier bei euch habe ich das gelernt.
Für mich ist Vertrauen das Schwerste, was es zu lernen gibt. Deswegen hat Elieano’o auch Angst, weil ihr Vertrauen wie durch ein Erdbeben erschüttert wurde. Deswegen verstehen wir uns auch, weil wir beide die Angst kennengelernt haben. Und auch sie wird wieder lernen, dass auf neuer Erde auch neue Pflanzen wachsen und neues Leben erblühen kann. Auch wenn etwas verschüttet wurde, so kann man sich irgendwann wieder daran erinnern. Sie wird sicher eines Tages wie ihr Vater viel über die Pflanzen lernen. Sie wird in den Bergen nach schönen Vögeln suchen mit all ihren bunten Federn, um schönen Kopfschmuck und Gewänder daraus herzustellen, davon träumt sie immer. Sie träumt von einem Umhang mit gelben und roten Federn, doch dafür bräuchte sie unzählig viele Vögel, die wir in unserem Leben nicht aufessen könnten. Und sie wird sich auch wieder an ihr Lachen erinnern. Wenn sie einmal nicht an ihren Vater denkt, kann sie sehr, sehr lustig sein!“
„So wie du! Ich glaube, es würde ihr sehr helfen, euch beiden sicherlich, wenn du ihr ein bisschen von deinen Erlebnissen erzählst. Dann fühlt sie nicht nur, dass ihr euch versteht, dann weiß sie es genau. Vielleicht kannst du ihr damit helfen, wieder die lustige, lebensfrohe junge Frau zu sein, wie sie es vor dem Unglück war. Ihr beiden tanzt auch so wunderschön zusammen. Es ist mir eine wahre Freude, mit euch zu tanzen. Ihr beide habt euch beim Tanz gefunden, ihr bewegt euch sehr harmonisch zusammen. Ihr seht euch nicht, aber ihr tanzt mit den gleichen Bewegungen und der gleichen Hingabe. Ihr versteht den tiefen Sinn unseres hula-Tanzes und du, obwohl du nicht hier geboren bist, tanzt jeden Tanz wie ein tiefes Gebet, so wie es sein soll, ein schwingendes Gebet! Du weißt, wie du den Text des Liedes ausdrückst mit deinen fließenden Bewegungen. Erst wenn man an dem Tanz den Sinn des Textes erkennen kann, ist er richtig. Dann kommt er ehrlich aus dem Innern der Seele. Viele müssen viele Jahre lernen, um ihn perfekt zu tanzen, bei dir dauerte es nicht einmal ein ganzes Jahr. Ich glaube, das ist das tiefe Leid, das du durchgemacht hast, das in dir die Fähigkeit geöffnet hat, sich so auszudrücken.
Vielleicht kannst du eines Tages den hula lehren, wenn nicht noch eine andere Aufgabe auf dich wartet. Ich brauche dich nur noch das Lehren zu lehren, das Tanzen fließt von allein, geschmeidig wie die Wellen des Meeres. Vielleicht hat das Meer dich tanzen gelehrt. Es ist fast so, dass ich von dir noch etwas lernen kann. Wenn du am Strand manches Mal allein für dich betest und tanzt, kommen mir neue Ideen in den Sinn für schöne neue Schrittfolgen und Handbewegungen und Ausdrucksformen.
Die Götter haben dich mit einer wundervollen Gabe gesegnet! Nachher werde ich euch einen neuen Tanz zeigen. Den können wir zum Willkommensfest des Brautpaares den anderen zeigen. Die Seherin hat ihre Ankunft heute Nachmittag angekündigt, so bleibt uns noch etwas
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