Das Vermaechtnis
für mich einfach alles.“
Ein paar Schritte gehen sie schweigend nebeneinander her.
In der Zwischenzeit befinden sie sich in einer weniger belebten Gasse. Encheduanna-Kyr bleibt an einem Tor stehen und meint:
„Hier möchte ich dich kurz einer wunderbaren Frau vorstellen.“
Sie geht durch ein kleines Tor und einen dunklen Gang in einen Innenhof. Am Rand des Hofs unter einer Überdachung aus Schilfrohr sitzt eine etwas ältere, recht kräftige Frau, mit geflochtenen langen Haaren, wie es die meisten Frauen hier tragen, nur dass sich bei ihr an einigen Stellen lockige Strähnen herauslösten, was ihre intensive Arbeit verrät. Sie sitzt an einer schnell rotierenden Töpferscheibe . Auf der Erde sitzen drei kleinere Kinder, die mit Ton spielen. Zwei von ihnen matschen mit dem Ton, und sie lachen voller Vergnügen, wenn sie sich gegenseitig damit bekleckern. Ein kleiner Junge sitzt ganz konzentriert und formt etwas, das vier Beine zu haben scheint.
„Ja, so unterschiedlich sind sie!“, lächelt die Frau, den beiden Besuchern zugewandt, dann aber mit ernsterem Blick auf die Kinder gerichtet:
„Ihr beiden, jetzt ist Schluss damit, nun säubert euch und dann formt etwas Brauchbares, einen Teller oder solch eine schöne Spielfigur wie euer Bruder.“
Mit dem Handgelenk, um welches ein Tuch gewickelt ist, wischt sie sich die vom Schwitzen nasse Stirn ab.
„Ich grüße dich, edle Encheduanna-Kyr . Edle Encheduanna-Kyr , sei gegrüßt. Willkommen im Hofe der Töpferin und ihrer Familie. Ich kann euch leider momentan keine Sitzgelegenheit anbieten, ich möchte, mit deiner Erlaubnis, meinen Krug hier noch vollenden. Aber bitte, vielleicht ist der edle Herr so freundlich und holt uns zwei Schemel von dort drüben.“
Hart, aber herzlich, so kamen die Worte rüber. Sie müssen sich sehr gut kennen, denn niemand sonst darf so mit der obersten Priesterin umgehen. Schnell dreht sich ihre Töpferscheibe.
Sa-La-Na geht über den Hof und holt zwei Holzschemel. Im Schatten sitzen noch drei Kinder, die schon etwas älter sind und ein Spiel spielen. Er erkennt sofort das Brettspiel mit den zwei Würfeln und den jeweils sieben Spielsteinen. Hier geht es darum, alle sieben Spielsteine über einen festgelegten Weg vom Start- ins Zielfeld zu bekommen. Da eine Strecke in der Mittelreihe sich mit der des Gegners, man spielt dieses Spiel zu zweit, überschneidet, kann man hier den anderen hinauswerfen, wenn man auf das Feld kommt, auf dem er gerade sitzt.
Sa-La-Na schaut ihnen kurz neugierig über die Schultern. Mit einem raschen Blick und einem Zwinkern hilft er dem gegenüber sitzenden Mädchen bei dem nächsten Zug, bei dem sie einen wichtigen Spielstein des Jungen hinauswerfen kann. Die anderen wundern sich nur, dass sie plötzlich einen fremden Mann anzulächeln scheint, was sie in ihrem Alter von acht Jahren nicht darf und noch mehr wundern sich die beiden anderen, dass sie nun beim nächsten Würfeln gewinnt. Sa-La-Na lächelt alle Kinder freundlich an, wünscht noch viel Spaß, geht rasch wieder zurück zu den beiden Frauen, und stellt die beiden Holzschemel links und rechts neben die töpfernde Frau. So sitzen sie nun alle im Schatten.
„Danke Sa-La-Na “, sagt Encheduanna-Kyr freundlich zu ihm. „Liebe Gi-Em-Ra , berühmteste und beste Töpferin der Stadt und des Landes, ich möchte dir unseren Geschichtenerzähler vorstellen, einen guten Freund schon seit langer Zeit. Seit fast acht Jahren war er nicht mehr hier in unserer Stadt… Und heute sah ich ihn und hörte der alten Gilgamesch -Geschichte zu. Es war mir, als wäre die Zeit in diesem Moment stehen geblieben.“
Ein kurzer schmerzhafter Blick trifft ihn. Er scheint innerlich zu erstarren.
Bei dem Wort Geschichtenerzähler kommt es gleich von allen Seiten:
„Der Geschichtenerzähler, von dem unsere Freunde erzählt haben?“
„Oh, erzählst du uns auch eine Geschichte?“
„Eine Geschichte von Menschen, die ganz anders aussehen als wir?“
„Nein, eine Geschichte von einem König, der mit den Göttern kämpfte.“
„Nein, eine Geschichte von einer Schneiderin, die sich in den König verliebt hat…“
„Halt, stopp“, ruft Gi-Em-Ra, die Töpferin, energisch. „Ihr seht doch, dass dies mein Besuch ist und die Geschichten jetzt mir erzählt werden. Und das sind keine Geschichten für eure kleinen neugierigen Ohren – also, geht wieder zurück zu euren Spielen und Aufgaben und lasst uns Erwachsene einen Augenblick allein – und
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