Das Vermaechtnis
sehe auch einmal, wie sich unsere Stadt entwickelt. Es wird so viel gebaut, dass man schnell den Überblick verliert. Ich glaube, es wird auch gern gesehen, wenn sich unsereins einmal unter das Volk bemüht. An den Begrüßungen merke ich, dass sie sich freuen. Sie haben dann mehr Vertrauen, und es verringert die Vorurteile und Berührungsängste. Ich kenne zwar schon sehr viele durch meine Arbeit als Heilerin und auch als Musikerin, aber da kommen sie alle zu mir in den Tempel und nicht ich zu ihnen, so wie jetzt. –
Wir sind schon fast zurück.“
Sie gehen durch den Vorgarten mit Dattelpalmen, Feigenbäumen, vielen Blumen und zwei Teichen. Als sie an dem linken Teich vorbeigehen, erblickt Encheduanna-Kyr Tano-Bak-Tu am Ende des Teiches, welcher ihr leicht hektisch zuwinkt. Der mittelgroßer Mann von schon fast 30 Jahren, mit einer großen Nase und buntem Stoff, der aus den Ohren herausschaut, zieht einen kleinen Holzkarren voller Tontafeln schwitzend und stöhnend hinter sich her und steuert auch schon direkt auf die beiden zu, während Encheduanna-Kyr Sa-La-Na kurz erklärt:
„Das ist Tano-Bak-Tu , der größte Planer unserer Bewässerungsanlagen . Einen größeren Spezialisten für Wasser habe ich noch nicht kennengelernt. Er liebt Wasser über alles, vor allem ruhiges Wasser, ruhig fließendes Wasser. Er ist an und für sich ein ganz ruhiger Mann, nur wenn er hier in der Stadt ist, unter vielen Leuten und dem vielen Lärm, dann wird er nervös, hastig, fast missmutig, wie man sieht. Nur, dass du dich nicht wunderst – er hat deshalb oft kleine Stoffkügelchen in den Ohren, um sich vor dem Lärm etwas zu schützen, wie man auch sehen kann. Ich hatte ihm schon mehrmals angeboten, zu mir in den Tempel zu kommen, um dieses Problem zu heilen, doch er schiebt es von sich und nimmt lieber seine Stoffkügelchen. Da kann ich auch nichts mehr machen. Er ist ein sehr kluger Kopf. Unsere Stadt hat ihm viel zu verdanken, denn nicht zuletzt durch ihn hat sie solch ein perfektes Bewässerungssystem, ganz nach dem Vorbild von Uruk, und diesen wunderbaren Hafen, und wir können mit einem flachen Boot bis direkt vor den Tempel fahren.“
„Sei gegrüßt, edle Encheduanna-Kyr , könnte ich eine Frage an dich stellen, zu dieser Zeit? Könntest du mir einen Augenblick deine kostbare Aufmerksamkeit schenken? Ich möchte nicht stören, jedoch brauchen wir…“ „Natürlich großer Tano-Bak-Tu , sei ganz frei.“
Sie berührt seinen Arm, damit er sich wieder zu ihr aufrichtet.
„Danke, edle Encheduanna-Kyr , großherzig und kraftvoll bist du, Entu-Priesterin der Innana . Wir brauchen deine Zustimmung zum Ausbau des Bootsanlegers und des Verbindungskanals zum Tempelgarten. Er versandet zu schnell, wir müssen an einigen Stellen mit gebrannten Ziegeln Mauern errichten. Das wiederum bedeutet, dass das Wasser sich nicht mehr so ausdehnen kann wie es möchte und die Stellen überflutet, die nicht befestigt sind beziehungsweise nicht hoch genug sind. Hier haben wir uns erlaubt, uns Gedanken zu machen und haben eine Lösung gefunden, von der wir hoffen, dass sie, edle Encheduanna-Kyr , deine Zustimmung findet.“
„Gern, erzähl deine Idee, sie ist bestimmt wie immer brillant und bestens durchdacht“, ermutigt sie ihn rasch, denn er scheint sich wieder in eine demütige Haltung verziehen zu wollen. Bei ihren schmeichelnden Worten richtet er sich auch sofort wieder auf, zieht eine Tontafel hervor, auf der eine Art Skizze seines Bauvorhabens zu erkennen ist, und fährt fort:
„Wir vergrößern die Anlegestelle, denn dort haben wir noch eine große Fläche, die wir nutzen können. Wir umpflanzen diese mit Kokospalmen und Olivenbäumen und stellen Bänke hin. Gleichzeitig vergrößern wir das große Tor, welches an der Stadtmauer zur Verriegelung der Kanaleinfahrt des Euphratarms gebaut wurde. Wir vergrößern die Tore nach unten, sodass wir die Stadt komplett vor einer Flut abriegeln können. Wir werden zwei Schlitze einsetzen, die in diesem Fall geöffnet werden können, sodass die Versorgung mit Wasser für das Bewässerungssystem in und um der Stadt stets gesichert ist. Auch je nachdem, wie salzhaltig das Wasser ist, das kommt. Und das hätte ich beinahe vergessen: Es werden keine Flügeltüren wie die bisherigen sein, sondern Schiebetüren, für die wir links und rechts hinter der Mauer eine Vorrichtung bauen werden. Mit Zugrindern werden wir diese schließen und im Gegenzug auch wieder öffnen können.“
Er schaut sie
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