Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermaechtnis

Das Vermaechtnis

Titel: Das Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Scherer-Kern
Vom Netzwerk:
in den Arm nehmen, allein berühren darf er sie nicht.
    „Geh deinen Aufgaben in der nötigen Ruhe nach, danach findet sich Zeit, für uns…“
    Das sagt er so locker, als hätten sie alle Zeit der Welt, dabei fühlt er sich innerlich so unsicher wie mit dreizehn Jahren. Encheduanna-Kyr geht zum Ochsenkarren und Sa-La-Na setzt sich in den Schatten einer Palme.
    „Sei gegrüßt, Bur-Gon Händler zwischen den Himmelsrichtungen, was bringst du mir heute?“, sagt sie freundlich zu dem recht großen Mann mit einer Hakennase und zum Zopf gebundenen Haaren, mit einem etwas ungewöhnlichen dreistufigen Rock aus Fell und Wolle und mit immer funkelnden Augen. Seine Augen haben etwas Greifvogelartiges an sich. Man kann seiner Figur ansehen, dass er einmal sehr athletisch war, doch nun ziert ein stattlicher Bauch seine Vorderseite. Encheduanna-Kyr ist stets auf der Hut, wenn es um den Preis geht, den er verlangt. Aber es bereitet ihr durchaus Spaß, mit ihm zu feilschen, und für kurze Zeit vergisst sie sogar manchmal ihren hohen Stand und feilscht wie eine echte Händlerin.
    „Große Herrin über den Tempel der Innana , ich grüße dich, sei gegrüßt, edle Encheduanna-Kyr . Ich verbeuge mich vor deinem Erstrahlen“, ruft er so laut, dass er sofort bei allen in der Nähe Aufsehen erregt. Was seine Händlerseele ja durchaus beabsichtigt. Dabei verbeugt er sich tief. Encheduanna-Kyr lächelt und erwidert freundlich:
    „Ich danke dir, Bur-Gon , Händler zwischen den Himmelsrichtungen. Nun, ich bin sehr gespannt auf deine Ware. Wo warst du dieses Mal und welche fremden Menschen hast du angetroffen? Hattest du wieder Kontakt mit fremdartigen gefährlichen Tieren? Wann wird die ganze Karawane eintreffen?“
    Bei der letzten Frage blitzen seine Augen, aber er stellt sich unwissend und zuckt nur mit den Schultern. „Edle Encheduanna-Kyr , ich reise doch stets allein, höchstens nachts geselle ich mich hin und wieder zu anderen Reisenden. Nachts, ihr wisst ja, ist es am gefährlichsten für uns, denn allein sind wir ohne Schutz. Mit mehreren können wir uns abwechseln mit der Wache und auch selbst einmal ruhig schlafen. Löwen sind immer hungrig, auch Riesenschlangen und bisweilen Riesenspinnen, die einen Körper haben, größer als der Kopf einer Frau…“
    Er hat offensichtlich vergessen, dass er mit solch fantastischen Beschreibungen bei Encheduanna-Kyr keine besondere Aufmerksamkeit bekommen würde, eher das Gegenteil. Es kann sie rasch verärgern, wenn sie merkt, dass man sie nicht ernst nimmt.
    Bei den meisten Frauen hat er mit seinen Riesenspinnen-Geschichten absoluten Erfolg, sie gruseln sich und himmeln ihn dabei mit den schönsten Augen an und rücken in ihrem inneren Grusel immer näher an ihn heran, als könne sie im nächsten Augenblick von hinten solch ein Ungetüm überraschen und nur er allein könne sie beschützen.
    „Ja, ja, ich kenne allzu gut deine fantastischen Geschichten, Verzeihung, Erlebnisse. Ich wäre entzückt, wenn du alsbald zum Punkt kommen und mit deinen Übertreibungen Maß halten würdest, sonst warte ich auf die Karawane, die wohl schon fast hören ist“, unterbricht sie ihn mit deutlichen Worten. Nun haben ihre Augen ebenso ein gewisses Blitzen.
    Plötzlich wird er ganz geschäftig, verbeugt sich mehrmals demütig, entschuldigt sich vielmals, wie er es vergessen könne, solch eine einzigartige Frau voll brillanten Wissens und, und, und.
    Er muss sich beeilen, denn die Karawane ist tatsächlich nicht weit und sie ist die einzige Konkurrenz für sein Geschäft. Dieses Mal hat er es einfach nicht geschafft, sich eher von der Karawane zu lösen, denn dieses Mal war es tatsächlich ein großes Rudel Löwen, welches sie eine lange Strecke bedrohlich begleitete. Im letzten Karren hatten sie eine Frau und ein Kind gerissen – zuerst das Kind, als es schlief, dann die Mutter, die hinter der Löwin mit ihrem Kind herlief. Aber das würde Encheduanna-Kyr wohl nun nicht mehr glauben, auch wenn er die Wahrheit erzählt.
    Er, Bur-Gon , Händler zwischen den Himmelsrichtungen , hat zwar eine große Fantasie und auch schon viel erlebt, ja auch wirklich selbst erlebt, aber er ist weder mutig noch stark, nur stark in seiner Angst und äußerst feige. Das war nicht immer so. Als er jünger war, war er deutlich mutiger und stark zudem, und er schlug schnell zu, wenn ihm irgendetwas oder irgendwer nicht gepasst hatte. Bis zu dem Zeitpunkt, als er einmal nicht stark genug war. Einmal hatte er Angreifer als

Weitere Kostenlose Bücher