Das Vermaechtnis
feilschen, das war eben mehr als ein guter Preis . Sie vermisst auch sein Blitzen in den Augen, das er sonst immer hat, wenn es um den Preis geht. Seine Augen, ja sein Gesicht nahmen dann stets Züge wie die eines Adlergesichts an. Scharfsinnig. Aber heute, nichts davon. Er sieht zwar so aus, aber er hat derzeit fast die Ausstrahlung eines Wüstenhasen. Dazu sagt sie erst einmal nichts, ist aber weiter wachsam.
„Ja, Kupfer und Zinn kann ich gut gebrauchen. Ich wollte noch ein paar kleine Bildnisse und Münzen für den Tempel bei den Metallarbeitern in Auftrag geben. Einiges fertigen sie schon an, doch fehlt für weiteres das Material. Wunderbar, ich nehme es gern. Den entsprechenden Gegenwert bekommst du in Silber.“
Nun scheint es zu kommen, das, was ihm die ganze Zeit auf die Seele drückt.
„Edelste und erhabenste Encheduanna-Kyr , hochgeschätzte Entu-Priesterin dieser Stadt, wir kennen uns seit unzähligen Monden.“ Dabei verbeugt er sich umständlich und redet währenddessen weiter. „Du kannst mir vertrauen, denn du weißt, wie ich bin, und ich vertraue dir, denn ich schätze dich unter allen Frauen nicht nur als die Entu-Priesterin , die du bist, sondern auch deiner herausragenden Klugheit wegen. Ich gestehe, es fällt mir sehr schwer, aber auch ein Mann wie ich kann über seinen Schatten springen, wenn es darauf ankommt, und heute kommt es darauf an, mehr noch – ich komme heute zu dir mit einer Bitte, mit einer großen Herzensbitte.“
So schnell kann sie gar nicht reagieren, wie er vor ihr auf dem Boden liegt; eine Geste, die sonst nur den Göttern zur Huldigung vorbehalten ist. Milde reagiert sie, leicht verlegen.
„Erhebe dich, Bur-Gon, großer Händler zwischen den Himmelsrichtungen , welche Bitte liegt dir auf dem Herzen, die dich solch demütige Haltung einnehmen lässt? Sie muss wahrhaftig von Herzen kommen.“
„Große und erhabene Encheduanna-Kyr , dein Antlitz wird erhellt durch die Göttin der Liebe und das Licht des Mondgottes selbst. Du allein strahlst wie das kostbarste Juwel, das schönste Juwel unserer Stadt. Er lässt deine Haare wie…“
Er hüstelt, weil die Entu-Priesterin ihn ernsthaft ansieht und fasst endlich Mut:
„Ich habe eine Tochter. Ja, ja, ich habe viele Töchter an vielen Orten, aber es geht um diese eine. Nur um diese eine. Sie zählt sieben Jahre. Sie ist anders als die anderen Mädchen, schon von klein auf. Ich will damit nicht sagen, dass sie nicht folgsam ist. Doch, doch, das ist sie gewiss. Eben das ist es schon, was mich befremdet. Sie ist vielleicht zu folgsam. Sie hat auch einen Sinn für die Pflanzen, aber was mich noch mehr irritiert ist, sie interessiert sich für alle möglichen Häuser, sogar für die Bewässerungssysteme. Immer, wenn ich da bin, das ist ja nicht so oft, du weißt, ja, ich bin viel unterwegs. Aber immer, wenn sie mich sieht, fragt sie mich Löcher in den Bauch.
Wie funktioniert dies, wie geht das? Wieso rollen die Räder, warum kann man die Häuser nicht noch höher bauen? Warum ist der Tempel so flach? Und ich sage, der Tempel ist doch schon viel höher als alle Gebäude einer Stadt. Aber sie meint, wenn der Tempel höher ist, dann wären die Priester noch näher bei den Göttern, und sie könnten noch besser mit den Göttern sprechen. Welche Ideen sie hat! Und sie ist ein Mädchen noch dazu. Meine Frau weiß nicht, was sie mit ihr machen soll. Sie sagte, ich solle sie mit auf meine Reisen nehmen, aber was soll ich mit einem Mädchen? Ich kann ihr keine Antworten geben.“ Jetzt sieht er ihr flehend in die Augen.
„Bitte, große und geschätzte Encheduanna-Kyr , ich glaube, sie ist am besten hier im Tempel aufgehoben, hier bei dir, oh so kluge, wissende Entu-Priesterin. Du kannst ihr die Antworten geben, die ich ihr nicht geben kann und sie wird endlich glücklich sein. Ich hätte es nicht gemusst, aber ich habe sie gefragt, ob sie gern in einen Tempel gehen würde, um dort zu lernen und zu leben – und – du glaubst es nicht, sie hat vor Freude geweint und gelacht! Das tut sie sonst nie! Sie ist nicht wie die anderen, die anderen weinen, lachen, toben, kreischen, singen, tanzen, eben lebendig, wie Mädchen so sind. Sie nicht. Sie geht immer ihre eigenen Wege. Sie denkt nach und hinterfragt alles. Sie weint nicht, lacht nicht – sie ruht in sich, als wäre sie viel älter.
Die anderen langweilen sie richtig. Dabei ist sie nicht schwach, im Gegenteil, stark ist sie. Als sie einmal von zwei älteren Jungen gehänselt
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