Das Vermaechtnis
vergraben habe, da der Mann der Näherin seine Tochter noch in zu jungem Alter angefasst hatte, und das, obwohl er verheiratet gewesen war. Die Götter haben sie bestraft, aber haben ihr auch geholfen.
Alle Frauen im Tempel freuen sich nun auf ihre neuen Gewänder, auch wenn sie schlicht sind. Sie haben nun mehrere neue Tempeldienerinnen und Priesterinnen, alle noch sehr jung. Da ein Mädchen mit etwa 13-14 Jahren heiratet, wird schon sehr früh entschieden, wenn sie in den Tempeldienst, also den Dienst für die Götter eintreten sollen. Zum anstehenden Fest in etwa einem Mondzyklus sollen sie alle ihre neuen Gewänder anziehen. Das wird die Näherin wohl gerade so schaffen.
Encheduanna-Kyr wählt ein paar Stoffe aus und legt sie zur Seite.
„Was hast du mir noch mitgebracht? Ah, ich sehe Töpferwaren…“ Sie nimmt eine Schale, die mit einer glänzenden Schicht überzogen ist, in die Hand und betrachtet sie in der Sonne.
Eifrig erklärt Bur-Gon : „Dieses sind kostbare Töpferwaren, edle Encheduanna-Kyr ! Sie sind mit einer Glasur überzogen, sehen wunderschön aus, sind auch absolut wasserdicht und sehr haltbar.“
„Wasserdicht sind die nur gebrannten Schalen auch…“, antwortet Encheduanna-Kyr , ohne ihn dabei anzuschauen.
„Die Schalen sehen wirklich sehr schön aus, sehr farbenfroh, besonders diese zwei mit den schlichten Mustern.“
Sie wählt viele Schalen, Krüge und Teller aus, denn die Küche des Tempels war komplett verwüstet. Wie sinnlos das alles gewesen war. Für den Anfang hatte sie schon einiges von Gi-Em-Ra übernommen, doch nun hat sie ja vor kurzem erst entschieden, davon Abstand zu nehmen, bei ihr zu kaufen. Vorerst – sie würde ein wachsames Auge auf sie haben. Jetzt sucht sie erst einmal hier eine kleine Grundausstattung für die Küche aus, um dann später wieder bei ihrer Freundin einzukaufen, wenn sich da wieder alles geregelt hat. Das lässt sie kurz seufzen.
„Edle Encheduanna-Kyr , es ist mir eine wahre Freude heute, dir meine Waren zu zeigen. Du wirst es nicht bereuen. Alles sind feinste Waren von bester und herausragender Qualität. Ich kenne euren Geschmack mittlerweile sehr gut, das musst du zugeben. Ich habe mir viel Mühe gegeben, dies alles für dich und den Tempel zusammenzustellen und werde dir einen äußerst guten Preis machen.“
„Du hast fürwahr eine schöne und auch passende Auswahl getroffen“, sagt sie ihm. Etwas irritiert ist sie darüber, dass er von einem guten Preis redet. Das ist noch nie vorgekommen, freiwillig, noch bevor es um das Verhandeln ging. Irgendetwas ist an seinem Verhalten heute anders. Sie schaut weiter auf den Wagen.
Ganz unten sind Tongefäße in unterschiedlichsten Größen. Bur-Gon stellt sie alle neben dem Wagen auf.
„Edelste und erhabenste Encheduanna-Kyr , diese leeren Tongefäße habe ich wieder mitgebracht, damit wir sie mit Getreide füllen können. Wenn möglich mit Gerste, Einkorn und Eimer. Auch Gerstenbier, dafür bringe ich jedoch noch weitere Amphoren. Holzdeckel, Stoff und frischen Ton zum Versiegeln habe ich hier. Dies wird dann genügen, dies sei mein Preis für heute. Vielleicht hast du auch noch Interesse an Kupfer und Zinn, dafür könnte ich wie immer Silber nehmen.“
Seit einigen Jahren schon werden die Tongefäße mit einem Holzdeckel und dann mit einem Tuch abgedeckt, dieses mit einem Seil festgebunden und mit einem Siegel aus gehärtetem Ton noch zusätzlich befestigt. Auf dem Siegel kann man den Inhalt erkennen. Oft waren einfache Symbole hineingedrückt worden, aber auch Schriftzeichen waren dabei, von gelehrten Händlern. Am Rand des Holzkarrens sieht sie die Lieferlisten aus Ton. Bur-Gon führt, obgleich er ein Schlitzohr ist, genauestens ein Handelsbuch. Er hat auch stets in Tuch gewickelten feuchten Tons mit, um jeden Abend nach einem erfolgreich abgeschlossenen Handelstag all seine Verkäufe zu dokumentieren. Er erzählte ihr einmal, dass er in seinem Haus ein eigenes Zimmer für seine Tontafeln hat, die er auf Borden aus Ziegelsteinen und Holzbrettern nach Datum geordnet hat. Ein richtiges Archiv, sagte er stolz. Ein scheinbar sehr chaotischer Mensch mit einem starken Drang nach Ordnung und letztendlich nach Zahlen, denn sein Leben ist bestimmt durch Zahlen. Er fühlt sich sichtlich wohl so mitten unter ihnen.
Encheduanna-Kyr beobachtet ihn die ganze Zeit, während er weitere tönerne Amphoren vom Wagen holt und ganz ordentlich aufreiht. Was ist nur mit ihm? Sie brauchte nicht zu
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