Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
verfolgte Simba das wilde Treiben, wobei ihm die Genugtuung auf die Stirn geschrieben stand. »Macht sie alle!«, feuerte er die wilde Horde an und fuchtelte mit den winzigen Fäusten. »Erst geköpft, dann gehangen, dann gespießt, auf heiße Stangen, dann verbrannt, dann gebunden und getaucht, zuletzt geschunden …«
Ein enttäuschtes »Oooch!« ertönte, als Arthur den Ratterich wieder auf den Boden setzte. Josie verstand Simbas Rachegelüste, trotzdem tat ihr die Hexe fast wieder leid – was sie ärgerte, weil sie sich daran erinnerte, was Wolf gesagt hatte. Mitleid war eine Anwandlung, die man sich in Dorchadon besser nicht leisten sollte.
»Dem ist nichts hinzuzufügen«, bemerkte Wolf kühl. »Im Übrigen sollten wir uns jetzt schleunigst um das Mädchen kümmern!«
Als hätte Simba Wolfs Einwand gehört, zeigte er auf eine Wand, die sich direkt an den Saal anschloss. »Dort verbirgt sich das Glaciorum, doch fürchte ich …«
Aber Josie hörte ihm schon gar nicht mehr zu. Ihr Herz verkrampfte sich schmerzhaft. Was erwartete sie beim Blick durch die magische Lupe? Würde sie den Anblick ertragen? Zwischen Hoffnung und glühender Angst steuerte sie auf die Mauer zu und legte das Brennglas an. Es knisterte leise. Was sie dann erblickte, grub sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis.
Der Raum glitzerte in Frost. Blaue Fackeln ließen die Eiskristalle geheimnisvoll schimmern und blitzen. An sämtlichen Wänden streckten sich aus klarem Eis gefertigte Regale bis zur Decke, in denen sich Glas an Glas reihte. Eine Art Einmachgläser, deren Inhalt Josie an die antiquierte botanische Sammlung erinnerte, die noch immer im Lehrmittelraum ihrer Schule aufbewahrt wurde. Doch waren die Sammelstücke hier völlig anders geartet. In vielen Gläsern steckten die erstarrten Körper kleiner, zum Teil sogar winziger Elfen ganz unterschiedlicher Arten. Josie dachte an die muntere Schar Elvinias. Es machte sie traurig, wie bekümmert die Flatterdinger hier ihre Köpfchen hängen ließen. Manche trugen die Flügel aufgefaltet, als hätten sie bis zuletzt versucht, zu entkommen. Anderen hingen die zarten Schwingen wie nasse Papiertaschentücher von den Schultern. Einige besaßen gar keine Flügel und sahen vielmehr aus wie kleine Feen. Dann gab es Gläser mit zierlichen Nixen, deren schillernde Fischschwänze in gefrorenem Wasser feststeckten. Josie presste die Lippen zusammen. Was hatte dieser Teufel nur davon, all diese wundervollen Wesen in Eis zu bannen! Ein ganzes Regal stand voll mit Gläsern, in denen verschiedenartige Gnome ihr Schicksal vollendet hatten. Es gab welche mit und ohne Bart, einige trugen Mützen oder winzige Zylinderhüte wie der Cluricaun. Einige waren ganz ohne Kopfbedeckung und sahen aus, als hätten sie zu viel Haargel benutzt, die gefrorenen Mähnen standen ihnen wie Igeln vom Kopf weg. Keiner war größer als handgroß, die meisten sogar deutlich kleiner. Viele trugen fratzenhaft verzerrte Gesichter, denen man ansah, dass sie bis zuletzt gegen ihren Peiniger gewettert hatten. Vereinzelt konnte man ihre kleinen erstarrten Fäuste sehen, wütend nach oben gereckt. Jeder einzelnen der bedauernswerten Kreaturen steckte ein kleiner Eiszapfen in der Brust.
Jetzt erst wagte Josie einen Blick auf den sargähnlichen Kasten aus Glas, der etwas erhöht an einer freien Wand stand, und den Josie bisher, in banger Erwartung, nur flüchtig gestreift hatte. Tränen rollten über ihre Wangen, als sie sich nun zwang, der Wahrheit ins Auge zu sehen.
Amys lebloser Körper lag aufgebahrt wie eine Leiche in schwarzen Seidenkissen. Man hätte sie für schlafend halten können, wäre ihre Haut nicht so blass, ihre Haltung nicht so erschreckend starr gewesen. Mit ihren schwarzen Haaren sah sie aus wie Schneewittchen. Ein Eiszapfen von der der Größe eines Dolches steckte in ihrem Herzen.
Josie wandte sich schluchzend ab.
Arthur hüstelte. »Darf ich mal?«
Josie wischte sich über die Augen und reichte ihm das Brennglas.
»Bloody Hell!«, stieß Arthur aus und staunte in stummer Verwunderung Dykerons groteskes Sammelsurium an. »Sie ist wirklich sehr hübsch«, murmelte er, ohne den Blick von der Lupe zu nehmen.
»Ist sie«, brummte Josie. »Aber wie kriegen wir sie bloß heil aus diesem Eisgefängnis raus?«
Doch Arthur antwortete ihr nicht, er schien das Atmen eingestellt zu haben.
»Ist was?«, erkundigte sich Josie bang.
Wieder bekam sie keine Antwort. Dann ließ Arthur die Lupe sinken und drehte sich
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