Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
gläsernen Sarg. Es fiel ihr schwer, sich einzugestehen, dass ihr Arthurs Vorschlag Unbehagen bereitete.
Ihm entging ihr Zögern nicht. »Hast du eine bessere Idee?«
Sie gab sich einen Ruck und schüttelte den Kopf. »Aber wie?«
»Keine Ahnung – vielleicht kann ich mich irgendwie unter diese schwarzen Vögel mischen.«
»Hier!« Josie zog mit bebenden Fingern den Fingerhut vom Daumen und reichte ihn Arthur.
Einen Augenblick später hatte sich ihr Begleiter in einen von Dykerons Henkersknechten verwandelt.
Josie zuckte zusammen »Du siehst zum Fürchten aus …«
Ein nervenzerreißender Laut riss ihren Blick zurück zur Plattform.
Dykerons langfingrige Hände umfassten ein riesiges, spiralförmiges Tierhorn, dem er einen Ton entlockte, der sich jeder Beschreibung entzog. Ein Ton, der Josie ins Herz schoss, durchdringend und schmerzhaft, wie ein Stilett. Ein Ton, dessen Echo in kalten Blitzen von den Felswänden zurückschlug und Josies Pupillen traf wie Phosphorpfeile. Sie schob panisch die Sonnenbrille über die Augen. Selbst Arthur, der die visuellen Wahrnehmungen Josies nicht ertragen musste, hielt sich gequält die Ohren zu.
Wieder und wieder erklang der gellende Laut, dazwischen das schaurige Bum-Bumbum der Trommeln. Dreizehn unendliche Male. Dann ließ der Statthalter Dorchadons das Horn sinken und auch die Trommeln verstummten. In den Booten – Schweigen. Selbst die Brandung schien innezuhalten. Todesstille legte sich wie ein Leichentuch über die Szene.
Dann begann der Boden unter ihnen zu beben. Erst leise und kaum wahrnehmbar, dann immer deutlicher. Steinlawinen rieselten von den Felsen. Josies Finger krallten sich in Arthurs Arm. Das Atmen wurde ihr schwer. Hatte die Seeluft die widerlichen Ausdünstungen des schwarzen Gesindels auf ein erträgliches Maß verdünnt, drang nun eine derart bestialische Aura aus der Höhle, dass Josie übel wurde. Eine Aura, die von Augenblick zu Augenblick penetranter wurde.
Dann erblickte Josie ein Wesen, das ihr wie die Ausgeburt der schwärzesten Fantasien aller Welten erschien.
Orcarracht , formten ihre Lippen tonlos.
Die immense Größe der Höhle hatte schon auf ihren Bewohner schließen lassen. Doch war der Drache tatsächlich gigantisch. Josie kämpfte gegen die Versuchung, die Augen zu schließen. Es kostete sie große Kraft, ihren schrecklichen Gegner auch nur anzusehen. Der riesenhafte Leib war über und über mit warzigen schwarzen Hornschuppen bedeckt. Etwas wie Flossen ragte rechts und links aus seinen Flanken. Füße fehlten ihm gänzlich. Der Drache musste ein ausgezeichneter Schwimmer sein. Sein schlangenähnlicher Körper, der sich in einen schier endlosen Schwanz verlor, robbte in großen Wellen geschickt vorwärts, wobei unter seinem immensen Gewicht die Plattform erzitterte. Eines war sicher: Dieses Untier war alles andere als ein Glücksdrache. Auf seinem langen Hals saß ein unbeschreiblich scheußlicher Kopf, der in zwei kolossale Nüstern auslief, die dazu geschaffen schienen, ungeheure Luftströme zu bewegen. Und sein Maul … Josie schluckte. Nur gut, dass er es geschlossen hielt. Drei mannshohe Zacken thronten über der schuppigen Stirn. Und darunter das Schrecklichste: das Auge des Drachen – ein einziges, hervorstehendes stahlblaues Auge vom Durchmesser eines Traktorreifens. Kalt, seelenlos und unbarmherzig.
»Bloody Hell!«, zischte Arthur. »Wie sollen wir bloß mit diesem Monster fertig werden?«
Josie war kreidebleich. Verdammt, sie hatten nicht den Hauch eines Plans!
Orcarracht richtete nun den eisigen Strahl seines Auges auf Dykeron, der furchtsam zurückwich. In eben diesem Moment flog Josie die rettende Idee zu, unerwartet und erleichternd wie ein Schmetterling an einem dunklen Wintertag.
»Das Auge«, flüsterte sie. »Seine schwache Stelle ist das Auge! Ich bin ganz sicher!«
»Das Auge …«, wiederholte Arthur leise. Dann schob er das Kinn vor. »Okay! Ich mogle mich jetzt nach vorn durch. Alle sehen nur auf den Drachen. Vielleicht finde ich eine Gelegenheit, mich an den Sarg ranzuschleichen.«
Josie hielt Arthur am Arm zurück. »Warte!« Nervös fummelte sie Amys Drachenfibel aus der Samttasche. »Versuch, sie Amy irgendwie zuzustecken!«
Arthur nahm die Fibel und tauchte ohne weiteren Abschied in der Dunkelheit unter.
Stumm durchbohrte der Blick des Drachen seine unselige Kreatur, den dunklen Statthalter Dorchadons. Und dennoch hatte Josie den Eindruck, als kommuniziere er mit ihm, denn sein
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