Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
Ein kosmisches und spirituelles Symbol, ein Symbol des Gleichgewichts. Die beiden Schlangen bedeuten die Gegensätze, die sich um alles Sein winden. Materie und Geist, Hell und Dunkel, Sonne und Mond und so weiter. – Und auch das menschliche Herz trägt Gutes und Böses in sich.«
Jetzt war Josie auch klar, warum das Motiv das Fenster im Treppenhaus schmückte. Über all den Aufregungen hatte sie völlig vergessen, danach zu fragen. Sie fingerte mit flatternden Händen die Drachenfibel aus dem Ausschnitt. »Sieht sie nicht fast genauso aus?«
O’Reardon kramte die Brille aus der Brusttasche und beugte sich vor. »Ja, das ist allerdings ein Caduceus!« Er blickte zwischen dem Gemälde und der Fibel hin und her. »Dass mir das nicht gleich gestern Abend aufgefallen ist! – Meine Augen! Bei schlechtem Licht brauche ich inzwischen leider eine Leselupe. – Jedenfalls …« Er senkte die Stimme. »Dorothy – die Dinge verdichten sich zusehends. Spürst du es auch?«
»Aaron …« Josies Großmutter atmete tief, sprach aber nicht weiter.
Josie deutete erregt auf das zweite Gemälde, das Bildnis einer schwarz gekleideten dunkelhaarigen Frau mit verkniffenen dünnen Lippen, die im Lächeln wenig geübt zu sein schienen. Unter einer ebenfalls schwarzen Satinhaube erwiderte sie die Blicke ihrer Betrachter aus kalt wirkenden Augen. »Ist das Conalls Frau?«
»Ja, seine zweite Frau Deidre. Das Glück in der Liebe war auch ihm nicht gerade hold. Seine erste Frau soll eine Schönheit gewesen sein. Aber sie starb ihm im Kindbett weg. Damit das Kind nicht ohne Mutter aufwachsen musste, hat Conall sich dann rasch wiederverheiratet.« O’Reardon verzog das Gesicht. »Ein Fehlgriff – schlimm, wenn man das über eine Urahnin sagen muss. Aber man sieht es ihr doch schon an! Ein zänkisches boshaftes Weib soll sie gewesen sein. Mit ihr hatte er zwei Söhne.« Er strich sich über den Bart. »Ja, eine Frau kann einem Mann den Himmel, aber auch die Hölle bereiten. – Es heißt, Conall sei an einem selbst gebrauten Elixier gestorben – angeblich versehentlich.« Er starrte auf das Porträt. »Wenn ihr mich fragt – daran glaub ich nicht.«
»Er hat sich umgebracht?«, fragte Moma entsetzt.
Der alte Herr räusperte sich. »Nun, ich fürchte, ja.«
»Und die Kinder?«
»Ihren Söhnen soll Deidre eine gute Mutter gewesen sein. Aber die Stieftochter hat sie sofort nach Conalls Tod weggegeben.«
Josie warf der Schmallippigen einen vorwurfsvollen Blick zu. »Wohin denn?«
»Das weiß ich nicht«, sagte der Professor. »Damals ist man unliebsame Kinder oft als billige Arbeitskräfte an Bauern losgeworden.« Er schob nachdenklich das Kinn vor. »Aber es wäre schon interessant zu wissen, was aus Aislinn – ihr Name steht in der Familienchronik – geworden ist. Schließlich war sie auch eine O’Reardon.«
Moma ging kopfschüttelnd zur Tür, die in die Küche führte. »Familiengeschichten können die reinsten Dramen sein. Trotzdem – ich hol jetzt mal das Essen.«
Josie folgte ihr. Als sie mit dampfenden Schüsseln zurückkamen, entzündete O’Reardon gerade die Kerzen eines Silberleuchters. »Ein bisschen Romantik darf schon sein.« Er zwinkerte Moma zu, die verlegen zurücklächelte.
Der Kerzenschein vergoldete den im grauen Abendlicht versunkenen Raum und gab ihm etwas Verwunschenes. Die magische Atmosphäre zog Josie ganz in ihren Bann. Für einen Moment kam es ihr ganz selbstverständlich vor, dass in Springwood Manor Geister lebten. Ob das mit seinem Erbauer zu tun hatte? Ihr Blick wanderte zu den Porträts zurück. Der gemalte Conall sah sie unverwandt an, fast, als wolle er ihr etwas mitteilen. Quatsch!, wies sie sich zurecht. Sie sah ja wirklich schon überall Gespenster! Und dennoch – es lag etwas Eigenartiges in diesem Blick, etwas, das sie nicht deuten konnte.
Der Zauber dieses Moments wurde durch einen Schwall heißen Kohldampfes zerstört, als Moma den Deckel der Terrine öffnete.
»Willst du?« Den Löffel in der Hand, sah Moma Josie fragend an. Sie wusste genau, was ihre Enkelin von Kohl hielt.
»Nicht viel, bitte«, antwortete Josie, die den Professor nicht vor den Kopf stoßen wollte.
»Du musst es probieren. Maudes Kohl ist der beste weit und breit.« O’Reardon sah ihr erwartungsvoll zu, wie sie ein wenig von der blassgrünen, verkochten Masse auf die Gabel schaufelte.
»Hmm, schehr gut!«, log Josie, während sie den Bissen herunterwürgte und mit einem Seitenblick auf Wolf
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