Das Vermächtnis der Feuerelfen
Dennoch hätte er die schattenhafte Gestalt fast übersehen, die sprungbereit zwischen zwei Abfallhaufen lauerte.
Saphrax alarmierender Ruf ertönte gerade im rechten Moment und ließ Durin verharren, ehe er in Reichweite des Nachtmahrs gelangte. Das Wechselwesen hatte an diesem Abend die Gestalt einer Ratte angenommen, um seinen selbst gewählten Herrn unauffällig begleiten zu können. Ein Umstand, der sich nun auszahlte.
Durins Gesicht nahm einen grimmigen Ausdruck an, während sich seine Finger in einer routinierten Bewegung um den Griff seines Kurzschwerts schlossen. Anders als Saphrax besaß er nicht die Gabe, im Dunkeln sehen zu können, und nahm nur die zusammengekniffenen gelben Augen und die blutgierig gefletschten Zähne des Untiers wahr.
»Wie viele sind es?«, raunte er Saphrax zu.
»Einer«, kam augenblicklich die geflüsterte Antwort. Doch gerade
als Durin aufatmen wollte, fügte das Wechselwesen hinzu: »Vielleicht auch mehr.«
»Sehr aufschlussreich. Kannst du es nicht ein bisschen genauer sagen?«
»Nein.«
»Wo bist du?«
»Hinter dir.«
»Feigling.«
Ehe Saphrax etwas erwidern konnte, gab sich der Nachtmahr zu erkennen. Den hässlichen Kopf vorgestreckt, die Ohren angelegt, löste er sich geduckt aus seinem Versteck und kam knurrend näher. Es war ein großes Tier. Im Licht der Fackeln sah Durin, wie sich die Muskeln unter der schwarzen Haut spannten, wusste aber, dass der Nachtmahr nicht angreifen würde. Noch nicht. Nachtmahre waren grausame Bestien, aber nicht dumm. Ein wehrloses Kind töteten sie, ohne zu zögern, mit einem Biss, einen bewaffneten Mann aber griffen sie nicht alleine an. Jetzt würde sich zeigen, ob sich noch weitere Mahre in der Dunkelheit verbargen.
Durin rührte sich nicht. Das Kurzschwert gezückt, stand er da und ließ die Kreatur nicht aus den Augen. Für einen schrecklichen langen Augenblick musterten Jäger und Opfer sich in der Stille der Nacht, während der immer dichter werdende Schneefall eine weiße Decke über die Stadt breitete.
Während Durins Herz rasend schnell schlug, schien die Zeit stillzustehen. Schließlich legte der Nachtmahr den Kopf in den Nacken und ließ das gefürchtete Heulen erklingen, das von einer gestellten Beute kündete und alle seine Brüder in der näheren Umgebung anlocken würde.
Durin wartete nicht länger. Mit einer erschreckend plötzlichen Bewegung stürzte er auf den Nachtmahr zu und durchtrennte dessen Kehle mit einem einzigen Schnitt, noch ehe das Heulen verklungen war. Blut schoss aus der klaffenden Wunde und färbte
den Schnee violett, während das Untier sich weiter auf den Beinen hielt, als könne es nicht begreifen, dass sein Leben hier und jetzt endete.
Durin versetzte ihm einen Fußtritt und brachte ihn zu Fall. »So ist es besser«, murmelte er, spie auf den Boden und säuberte sein Schwert mit einer Handvoll Schnee. »Du kannst rauskommen«, wandte er sich nun laut an Saphrax. »Das Vieh war allein.«
»Ganz recht, es war allein!« Wie aus dem Nichts schoss Saphrax heran - eine hagere graue Ratte auf dem weißen Schnee -, setzte zum Sprung an und verwandelte sich noch im Flug in ein schwarz-weiß gestreiftes Baumhörnchen, das sich ängstlich an Durins ledernen Brustharnisch klammerte. »Wir müssen weg. Sie kommen!«, zischelte er und schaute sich dabei unablässig in alle Richtungen um.
»Bin schon unterwegs.« Mit dem Kurzschwert in der Hand setzte Durin seinen Weg im Laufschritt fort. Saphrax war ein Wesen der Anderwelt und gehörte eigentlich zu seinen Feinden. Das Schicksal aber hatte gewollt, dass sie zusammenfanden. Während er um die nächste Hausecke bog, hörte er hinter sich das Hecheln von mindestens drei weiteren Nachtmahren und war nicht zum ersten Mal froh darüber, Saphrax an seiner Seite zu haben.
»Es sind vier«, hörte er Saphrax schnarren, als hätte dieser seine Gedanken gelesen.
»Keine Sorge, sie werden uns nicht verfolgen.« Hinter ihm ertönte wütendes Knurren und Fauchen. Zweifellos hatten die Mahre den toten Körper gefunden und sofort damit begonnen, sich um die besten Stücke zu streiten. Durin grinste. »Jedenfalls nicht, bevor sie ihren Bruder verspeist haben.« Er ging nun langsamer, nahm Saphrax auf die Hand und hielt ihn so, dass er ihm in das pausbackige Nagergesicht sehen konnte. »Das war nun schon das sechste Mal, dass du mir das Leben gerettet hast«, sagte er gespielt tadelnd. »Das sind fünf Leben mehr, als du mir zu verdanken hast.«
»Fünf sind nicht
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