Das Vermächtnis der Feuerelfen
Schiffen nahm und ihren eigenen Gedanken nachzuhängen schien.
Die Zeit verstrich, aber Saphrax kam nicht wieder. Es begann zu schneien. Während sich auf den Kisten und Fässern eine dünne weiße Schicht bildete, ging der Alltag im Hafen seinen gewohnten Gang. Schiffe wurden be- und entladen, Segel gehisst oder gerefft und Kommandos gebrüllt. Zu jedem anderen Zeitpunkt
hätte Heylon sich von dem Anblick der vielen Menschen und Schiffe nicht losreißen können, aber die Sorge um Caiwen war übermächtig und machte es ihm unmöglich, sich auf das bunte Treiben einzulassen. Schließlich hielt er es nicht mehr aus. »Was tun wir, wenn sie schon fort ist?«, stellte er die Frage, die ihn schon die ganze Zeit bedrückte.
Die Elfe schaute ihn an, und in ihrem Gesicht fand er dieselbe Ratlosigkeit, die auch ihn plagte. »Ich weiß es nicht«, sagte sie seufzend. »Ich weiß es nicht.«
DIE JAGD BEGINNT
C aiwen verbrachte den Rest der Nacht, in eine Decke eingerollt, in der kleinen Kajüte, die Melrem ihr schon nach ihrer Flucht von den Riffinseln zugewiesen hatte. Man hatte ihr die Fesseln abgenommen. Frei war sie nicht. Die Tür war von außen verschlossen. Davor stand eine Wache. Von der Freundlichkeit und bevorzugten Behandlung, die man ihr auf dem ersten Stück ihrer Reise hatte angedeihen lassen, war nichts geblieben. Mit einem Sack über dem Kopf hatte man sie im Schutz der Dunkelheit an Bord gebracht und sie weggesperrt, damit niemand etwas von ihrer Anwesenheit mitbekam. Diesmal wollte Maeve sichergehen, dass sie ihr Ziel erreichte. Diesmal sollte sich vollenden, was fünfzehn Winter zuvor im Sturm gescheitert war.
Die Zeit verstrich unter den sanften Bewegungen des Schiffes, das in rascher Fahrt durch die Wellen pflügte. Die Dunkelheit vor dem kleinen, runden Fenster wich einem schmutzigen Grau und schließlich der Dämmerung, aber obwohl Caiwen nach den Anstrengungen des langen Ritts völlig erschöpft war, fand sie keinen Schlaf.
Unaufhörlich kreisten ihre Gedanken um das, was geschehen war, seit sie das Riff verlassen hatte, um ihre Mutter, die sie sich
mehr den je in ihrer Nähe wünschte, und um Heylon, der nun Nimeyes Gefangener war und dessen Leben allein davon abhing, wie sie sich am Ende entschied. Wehmütig schüttelte sie den Kopf. Nachdem ihre Mutter ihr im Wald erschienen war, hatte sie geglaubt, ihre Entscheidung sei unwiderruflich. Wenn es ihr durch das Schicksal bestimmt war, das Erbe der Hohepriesterin anzutreten, um Nimeye zu vernichten und das Zweistromland zu retten, dann würde sie es versuchen. Aber jetzt?
Der Gedanke, dass sie damit Heylons Tod in Kauf nehmen würde, war mehr, als sie ertragen konnte, und sie schob ihn hastig beiseite. Mehr denn je bereute sie ihren Entschluss, ihrer Heimat den Rücken gekehrt zu haben, und wünschte, sie könne alles ungeschehen machen. An diesem Morgen erschien es ihr wie eine Belanglosigkeit, dass man ihre elfische Abstammung auf dem Riff bald herausbekommen und Lenval des Verrats angeklagt hätte.
Sie hatte geglaubt, das Leben auf dem Riff sei grausam. Nun wusste sie es besser. Was die Menschen auf dem Riff taten, war aus der Not geboren. Es diente stets nur den Kampf ums eigene Überleben. Die Welt jenseits des Ozeans war nicht besser, sondern noch viel schlechter als ihre kleine, sturmumtoste Insel. Brutal, hinterhältig und heimtückisch war diese Welt, in der nur der gewann, der ohne Skrupel war und seine Ziele mitleidlos verfolgte.
Und danach habe ich mich gesehnt ... Caiwen lachte bitter, als sie daran dachte, was sie sich von ihrem Besuch in Tamoyen erhofft hatte.
Vorbei ...
Das Wort schwebte heran und setzte sich in ihrem Geist fest. Finearfin und Durin waren tot, Heylon war gefangen und sie selbst auf dem Weg, ihr eigenes Volk dem Untergang preiszugeben. Es war so ungerecht. So aussichtslos... Caiwen schluchzte auf und vergrub ihr Gesicht in der Decke. Sie hatte mutig sein wollen, aber sie war es nicht. Sie hatte zuversichtlich sein wollen,
aber sie konnte es nicht. Sie hatte ihr Volk retten wollen, aber sie wusste, dass es nicht dazu kommen würde. Zu tief waren ihre Gefühle für Heylon, als dass sie sich gegen ihn hätte entscheiden können, zu sehr fürchtete sie sich davor, schuld an seinem Tod zu sein.
Aber ich kann doch mein Volk nicht verraten. Tränen liefen über Caiwens Wangen, als sie sich der Schwere der Entscheidung bewusst wurde, die vor ihr lag. Eine Entscheidung, die sie niemals würde treffen können und der
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