Das Vermächtnis der Feuerelfen
hatte das Letzte aus seinem Körper herausgeholt und nie den Glauben an sich selbst verloren.
Jetzt aber wusste er, dass er verloren hatte. Mut, Ausdauer, Geschick und Entschlossenheit... angesichts der gigantischen Welle zählten diese Eigenschaften nicht. Er hatte alles gewagt und verloren. Er war nicht besser als die anderen Mutigen, von denen Melrem gesprochen hatte. Auch seine letzte Entscheidung erwies sich nun als Dummheit. Nur wenige Augenblicke trennten ihn noch davon, ihr Schicksal zu teilen.
Das Boot setzte sich in Bewegung. Wie von Geisterhand glitt es auf die Welle zu. Durin ließ es geschehen. Seine Hände lösten sich von den Riemen, die sofort ins Wasser rutschten und davontrieben. Er schaute ihnen nach, machte aber keine Anstalten, sie zurückzuholen. Er saß einfach nur da und starrte dem Wasser entgegen, das sich ihm in Form eines schaumgekrönten Monstrums näherte, Himmel und Meer verschluckte, bis es nur noch die Wand aus schwarzem Wasser gab, deren Kamm sich zunächst wie ein Dach über ihm wölbte, einen Tunnel bildete und schließlich unter seinem eigenen Gewicht zusammenbrach.
Durin spürte, wie er den Boden unter den Füßen verlor. Wie eine Puppe wurde er aus dem Boot geschleudert und von der Strömung mitgerissen. Seine Hände suchten vergeblich nach einem Halt, seine Schreie gingen unter in den brodelnden Fluten. Verzweifelt versuchte er, zu schwimmen, aber die nasse Kleidung war schwer wie Blei und machte ein Fortkommen unmöglich. Durin presste die Lippen fest zusammen. Um ihn herum war nichts als wirbelndes dunkles Wasser. Es gab kein Oben und kein Unten, nur Wasser. Durin fühlte, wie seine Lungen sich zusammenkrampften. Luft, er brauchte Luft. Alles in ihm schrie danach, den Mund zu öffnen, aber noch gelang es ihm für einige Herzschläge, den todbringenden Reflex zu unterdrücken, der sein Schicksal besiegeln würde.
Etwas prallte hart gegen sein Bein. Ein Fels oder ein Trümmerstück, das die Welle mit sich führte. Er kämpfte gegen die Ohnmacht an, die nach ihm griff, aber er war zu schwach. Die Schmerzen und der Mangel an Luft waren stärker als sein Überlebenswille. Sein Mund öffnete sich und er tat einen verzweifelten Atemzug, der nichts als Wasser in seine Lungen spülte … Dann verlor er das Bewusstsein.
Das Unwetter über den Riffinseln machte den Tag zur Nacht.
Wütend zerrte der Sturm an den Dächern und Fensterläden, heulte und pfiff, drückte eisige Luft ins Innere der Hütten, warf Holzgestelle um, auf denen die Frauen Fische trockneten, und riss alles mit sich, was nicht festgebunden war. Mit entfesselter Urgewalt peitschte er die regenschweren Wolken über die Inseln und verwandelte die wenigen fruchtbaren Mulden auf dem Eiland binnen kürzester Zeit in morastige Tümpel.
Nichts regte sich hoch oben auf den Klippen. Die Riffbewohner hatten sich in die Hütten geflüchtet. Die Felstölpel drängten sich in den Tiefen der kleinen Höhlen zusammen, in denen sie ihre Nistplätze bauten.
Caiwen stand nahe dem Ofen am Fenster, beobachtete die filigranen Muster, die die zuckenden Blitze an den nachtschwarzen Himmel zeichneten, und dachte voller Sorge an das Schiff, das sie am Morgen gesehen hatte. Gern hätte sie einen Blick auf den Ozean geworfen, dessen gewaltige Wellen sich krachend am Riff brachen, aber das Dorf war von ihren Vorvätern zum Schutz vor Entdeckung in einer großen Mulde auf dem Gipfel der Klippe errichtet worden und sie konnte das Wasser nicht sehen.
»So schlimm wie heute war es lange nicht mehr.« Verrina saß unweit von ihr am Tisch und besserte im spärlichen Licht einer Öllampe Lenvals zerschlissenen Mantel aus. »Ich hoffe, die nächste Schiffsladung trägt uns ein paar Kleidungsstücke oder Stoffballen
zu«, sagte sie seufzend. »Nicht mehr lange, und dieser Mantel besteht nur noch aus Flicken.«
»Wein und Tabak wären auch nicht schlecht.« Lenval setzte sich zu ihr, stopfte seine Pfeife und tat genüsslich ein paar Züge. »Mein Vorrat ist fast aufgebraucht.«
»Das Mehl geht auch zur Neige und Butter haben wir schon seit einer Ewigkeit nicht mehr«, fügte Verrina hinzu. »Ich habe schon so lange keinen Kuchen mehr gebacken, dass ich ganz vergessen habe, wie er schmeckt. Oder frisches Obst.« Sie ließ das Nähzeug sinken und schaute Caiwen an. »Weißt du noch, wie die Männer einmal eine Kiste Äpfel fanden?«
»Nein!« Caiwens Ton war scharf. Sie dachte an die Männer auf dem Schiff, die irgendwo da draußen vermutlich
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