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Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Kandari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tracy Schoch
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ich dich gebraucht habe und du hast mehr für mich getan als jeder andere.“
    Behutsam streckte sie den Arm aus und strich mit ihren kühlen, schlanken Fingern über seine Wange. Es war noch immer der alte Zauber, dachte Arthenius, genau wie am ersten Tag, nichts hatte sich verändert. Gedankenverloren blickte er auf sie herab. Ohne den Ausdruck grimmiger Entschlossenheit und der Ehrfurcht gebietenden Aura der Macht wirkten ihre Gesichtszüge noch immer weich, beinahe verletzlich. Und in ihren großen, dunkelblauen Augen, Augen, in denen man sich nicht spiegeln konnte, stand das gleiche vollkommene Vertrauen, das er immer als gegeben hingenommen hatte, ohne es völlig zu verstehen.
     

Julius erzählt:
     
     
    Dieser zehnte Monat war für mich der sonderbarste seit Beginn des Krieges. So komisch es heute erscheinen mag, damals war nicht der Waffenstillstand, sondern Logis’ Rückkehr in meinen Augen das dominierende Ereignis. In letzter Zeit war mir klar geworden, dass Elaine für mich mehr bedeutete, als nur eine kurze Sommerliebe. Früher hatte ich nicht verstanden, was Liebe bedeutete. Ich hatte nicht verstehen können, was es hieß, wenn der erste und der letzte Gedanke des Tages dem einen geliebten Menschen galten und man manchmal wach lag aus Sorge um das Wohlergehen des anderen. Oder wenn man in jedem Gesicht das Abbild ihres Lächelns zu sehen glaubt. Jetzt weiß ich es. Ich konnte es kaum erwarten, sie wiederzusehen, doch was konnte ich tun, ohne die Zustimmung ihres Vaters? Heute wirkt es vielleicht lächerlich, dass ich wegen dieses Gedankens einige schlaflose Nächte verbrachte. Aber zu diesem Zeitpunkt waren arrangierte Ehen etwas Alltägliches und noch heute gehören sie in manchen Familien zum guten Ton. In Anoria gab es kaum einen bindenderen Vertrag als die Heirat und es war durchaus möglich, dass Logis kein Bündnis mit dem Königshaus wünschte, besonders jetzt, da das Schicksal unseres Landes in der Schwebe hing. Logis’ Zustimmung bedeutete für mich jedenfalls eine große Erleichterung.
    Mit Einsetzen des Waffenstillstandes änderte sich mein Alltag erneut. Vor Kurzem waren meine Tage angefüllt gewesen mit allen möglichen Pflichten, jetzt jedoch schien es nichts mehr zu tun zu geben. Wiederum stand Logis’ Rückkehr in direktem Zusammenhang mit dieser Veränderung. Zuvor hatte ich zusammen mit den Gildemitgliedern viele Entscheidungen treffen müssen, die eigentlich Aufgabe meines Vaters oder eines erfahrenen Heerführers gewesen wären. Da aber ein solcher nicht zur Verfügung stand, musste ich mein armseliges Bestes tun. Nun übernahm Logis beinahe automatisch den größten Teil meiner Pflichten. Ich war sehr froh darüber. Immerhin war er der Fürst von Ariana, zwanzig Jahre älter als ich und kampferprobt. Aber es änderte nichts an der Tatsache, dass ich mich langweilte. All die nichtigen Beschäftigungen, wegen derer ich früher meine Studien vernachlässigt hatte, erschienen mir jetzt als belangloses Geplänkel ohne jeden Nutzen. Pierre hatte vor seiner Gefangennahme angefangen, mich im Schwertkampf zu unterrichten. Natürlich hatte ich mit einem Waffenmeister seit meinem vierten Lebensjahr trainiert, doch der Kampfstil der Kandari, der hauptsächlich auf Geschick und Schnelligkeit beruhte, ließ sich damit nicht vergleichen. Manchmal konnte ich François oder Philipe überreden, mich zu unterrichten, doch sie hatten nur sehr selten Zeit. So kann es kaum verwundern, dass mich Logis’ Vorschlag, nach Askana zu reiten, mit Begeisterung erfüllte. Auch mein Vater hatte keine Einwände und so beschloss ich, am ersten Tag des nächsten Monats loszureiten.
     

Primadécia
     
     
    Es waren die ersten Sonnenstrahlen, die durch das große Fenster ins Zimmer fielen, die Pierre weckten. Einen Moment lang lag er einfach nur da und genoss es, aufzuwachen ohne das Gefühl, gleich wieder einschlafen zu müssen. Ohne die Augen aufzuschlagen, wusste er, dass er allein war. Er hatte sich in letzter Zeit so an Rowenas ständige Anwesenheit gewöhnt, dass ihm seine Umgebung ohne die junge Frau leer vorkam. Flüchtig fragte er sich, wie viel Zeit vergangen war, seitdem sie ihn aus dem Gefängnis befreit hatte. Hier, abgeschirmt von der Außenwelt, konnte er die Tage nicht zählen. Doch dann erinnerte er sich. Es war der sechste Tag des neuen Monats, des elften dieses Jahres.
    Schließlich öffnete Pierre die Augen und richtete sich auf. Noch vor Kurzem hätten ihn diese wenigen Bewegungen seine

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