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Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Kandari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tracy Schoch
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Augenblick festhalten möchte. Auch jetzt frage ich mich manchmal, ob es real war. Doch dann sehe ich Elaine an und weiß, es war wirklich, wirklicher als vieles andere in meinem Leben. Nach diesem Moment der Glückseligkeit kehrten wir zu unseren täglichen Aufgaben zurück.
    Die letzten Monate erschienen mir so, als trieben wir im ruhigen, flachen Wasser am Ufer eines träge dahinfließenden Flusses. Nun wurden wir wieder in die Mitte des Stroms gerissen. Damals war ich froh, dass die Zeit des Wartens und Belauerns vorüber war und dass es bald eine Entscheidung geben würde, zum Guten oder zum Schlechten. Der Einzug der Fürsten in Arida war ein Wendepunkt, nicht nur in meinem Leben, sondern in der Geschichte Anorias. Ich war überrascht, nicht nur die Fürsten mit ihren Erben und ihrer Eskorte zu sehen, sondern auch die vier Anführer der Waldläufer. Es waren weit mehr als zwanzig Mann, wie ich zuerst geschätzt hatte. Im Nachhinein erscheint es logisch, dass sie alle gekommen waren. Wollten wir in den bevorstehenden Kämpfen eine Hoffnung auf den Sieg haben, mussten wir zusammenhalten.
    Den nächsten Tag verbrachte ich damit, möglichst viel über unsere Gäste in Erfahrung zu bringen. Die Fürsten und ihre erwählten Nachfolger kannte ich bereits mein Leben lang. Da war zum einen Eugens ältester Sohn Derik. Er war zwei Jahre älter als ich und als Kinder hatte man uns eine Zeit lang zusammen unterrichtet. Für mich war er immer ein arroganter, aufgeblasener Junge gewesen, der alle Jüngeren mit der größten Herablassung behandelte. Jetzt fand ich heraus, dass er tatsächlich höflich und charmant, ja sogar respektvoll sein konnte, wenn es seinen Zielen dienlich war. Offensichtlich hatte er beschlossen, dass ich zu den Personen gehörte, die dieses Verhalten verdienten. Vielleicht war ich vorschnell in meinem Urteil über ihn, doch der Eindruck des jungen Mannes wurde zu sehr durch die Erinnerung an das eingebildete Kind getrübt.
    Mit Raffi, dem Sohn von Cordac und Rosaria, verhielt es sich anders. Wir waren uns bisher nur ein paar Mal begegnet, denn Terranien lag am anderen Ende des Kontinents. Sein richtiger Name war Raphael, ein schüchterner, blasser Junge von fünfzehn Jahren, der selten sprach. Er war klein und dünn und sah seinem Vater nicht sonderlich ähnlich. Er hatte das hellere Haar und die blaugrauen Augen seiner Mutter geerbt, doch sein angenehmes, wahrscheinlich sogar gut aussehendes Gesicht wurde durch eine hässliche Brandnarbe verunstaltet. Ich hatte gehört, dass er und Cordac die Letzten gewesen waren, die das brennende Dalane verlassen hatten. Den Gerüchten nach hatten sie sich geweigert zu gehen, solange noch ein Unschuldiger in der Stadt war. Diese Nachricht wurde mir jetzt von vielen bestätigt. Es tat mir leid, dass es ausgerechnet diesen sanftmütigen Jungen getroffen hatte, der von den Gründen für diesen Krieg noch weniger wusste als ich. Allerdings fand ich schnell heraus, dass er mein Mitleid nicht brauchte. Still und mit beunruhigender Gleichmütigkeit nahm er es hin. Doch manchmal sah ich ein kurzes Aufflackern von Bitterkeit und grimmiger Entschlossenheit in seinen Augen, die so gar nicht zu seinem jugendlichen Alter passen wollten, und mir wurde klar, dass er die Lektion des Zorns und des Hasses gut gelernt hatte und dass er es nicht vergessen würde.
    Ciarans Begleiter war für mich eher eine Legende als eine wirklich existierende Person. Er hieß Rakus und war der Bruder, der ältere Bruder, des Firanier-Fürsten. Ich erkannte sofort, warum man Ciaran und nicht Rakus zum Clanoberhaupt gewählt hatte. Alle Firanier waren stolz, temperamentvoll und leicht reizbar, aber Rakus wirkte auf mich … bedrohlich. Er war ein wahrer Riese, breitschultrig und muskulös. Sein Haar war zwar rot, aber viel heller als das seines Bruders, und seine Augen waren nicht grün, sondern dunkelbraun, fast schwarz. Ciaran war ein hochintelligenter Mann, dessen Familienstolz sich lediglich in einem gewissen Streben nach Unabhängigkeit im Denken und Handeln für sich und seinen Clan zeigte. Rakus dagegen sah in jedem Blick eine Beleidigung, jede Geste deutete er als Herausforderung. Darin, so erkannte ich, glich er meiner Mutter. Der Gedanke an Patricia war schmerzlich für mich. Sie war nicht mehr im Kerker des Schlosses, sondern in ihren eigenen Räumen eingesperrt. Obwohl wir Tür an Tür lebten, hatte ich mich noch nicht dazu überwunden, sie zu besuchen. Auch jetzt wandte ich meine

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