Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
verschlafen. Schließlich hob sie den Kopf und sah ihn verträumt und voll ruhiger Zufriedenheit an. Sie lächelte warm, ausgeglichen und offensichtlich noch nicht ganz wach. Arthenius dachte an das letzte Mal, als er sie geweckt hatte. Damals hätte sie ihn fast erdolcht. Jetzt, davon überzeugte er sich mit einem schnellen Blick durch den Raum, befand sich kein spitzer Gegenstand in Reichweite und außerdem schienen all die antrainierten Reflexe und ihr abweisendes Verhalten unendlich weit entfernt.
Etwas hatte sich zwischen ihnen verändert, auch wenn Arthenius nicht genau sagen konnte, was es war. Ihre Beziehung war nie rein platonisch gewesen, aber während des letzten Jahres hatte sie beinahe ängstlich Abstand gehalten. Warum sie jetzt seine Nähe suchte, konnte er nicht sagen. Er fragte auch nicht danach. Und Larenia schien es nicht zu bereuen, im Gegenteil. Zum ersten Mal seit langer Zeit wirkte sie beinahe glücklich.
Sie drehte sich auf den Bauch und stützte sich auf die Ellenbogen. Allmählich wich die Schläfrigkeit aus ihrem Gesicht. Noch immer sprachen sie kein Wort, es schien einfach nicht notwendig. Arthenius hatte seine Hand in ihrem langen Haar vergraben, das in weichen Wellen über ihren Rücken fiel und mit dem weißen Stoff seines Mantels, den er über sie beide gebreitet hatte, zu verschmelzen schien. Sie bewegte sich nicht, doch nach einer Weile wurde ihr Blick forschend.
„Was denkst du?“
Er lächelte und streichelte ihren Rücken: „Wie schön es ist, bei dir zu sein, dich in meinen Armen zu halten und aufwachen zu sehen. Und du hast nicht einmal versucht, mich umzubringen“, sie lachte leise und Arthenius fügte hinzu, „und ich sehe dich gern lachen. Ich liebe dich so sehr. Larenia –“, sie ließ ihn nicht aussprechen. Stattdessen rutschte sie näher an ihn heran und küsste ihn, zuerst sanft und zärtlich, dann heftiger, beinahe fordernd.
„Wir haben noch genug Zeit bis zur Morgendämmerung“, flüsterte sie und er hörte deutlich den Übermut in ihrer Stimme. Sacht zog er an ihrem Haar, sodass sie den Kopf heben und ihn ansehen musste.
„Was ist nur mit dir los?“, es war eine harmlose Frage, auf die er nicht einmal eine Antwort erwartete. Umso mehr verwirrte ihn ihre Reaktion.
Die Fröhlichkeit in ihren Augen wich tiefer Verzweiflung: „Ich kann es dir nicht sagen, ich weiß es selber nicht.“ Arthenius erschrak über den trostlosen Klang ihrer Stimme, doch Larenia bemerkte es nicht einmal.
Während dieser einen Nacht hatte sie es geschafft, die Wirklichkeit zu vergessen. Sie war glücklich gewesen, nachdem sie lange Zeit aus ihrem Bewusstsein verdrängt hatte, dass es diese Art von Glück gab. Sie wollte jetzt noch nicht an die Zukunft und an die Aufgabe, der sie sich stellen musste, erinnert werden. Sie dachte an das, was Philipus zu ihr gesagt hatte. Es war grausam, diese Nähe zwischen ihr und Arthenius aufzubauen und dabei genau zu wissen, was geschehen würde, was geschehen musste, wenn sie diesen Wahnsinn aus Krieg und Gewalt beenden wollte. Es war ihre eigene Schuld. Sie hatte den Lauf der Ereignisse nahezu herausgefordert und jetzt konnte sie es nicht ungeschehen machen, sie wollte es nicht einmal.
Arthenius erkannte, dass sie mit ihren Gedanken unendlich weit weg war, aber er konnte sich nicht aus ihrer Umarmung befreien. Mit verzweifelter Kraft klammerte sie sich an ihn und schließlich gab er seine abwehrende Haltung auf. Sie reagierte auf seine Nähe, auf jede Berührung, doch nichts von dem, was geschah, erreichte ihr Bewusstsein.
Im ersten grauen Dämmerlicht stand sie auf. Schnell und mechanisch suchte sie ihre Kleider zusammen, doch dann unterbrach sie sich mitten in der Bewegung und drehte sich zu Arthenius um.
„Es tut mir leid“, verständnislos sah er sie an, doch sie wich seinem Blick aus, „du verstehst mich nicht, aber bald wirst du begreifen und ich hoffe, du kannst mir dann verzeihen.“
In Arida begann das neue Jahr still und ereignislos. Die Feiertagsstimmung hatte nach der Nacht der Wintersonnenwende noch zwei oder drei Tage angehalten, aber inzwischen war der Alltag zurückgekehrt und die Ungewissheit und die Angst vor der Zukunft lasteten schwer auf den Menschen in der Stadt der Könige. Als sich das Wetter am fünften Tag des Jahres besserte, schickte Julien die Freiwilligen, die sich noch in Arida befanden, zusammen mit einem Großteil von Logis’ Streitmacht nach Askana. Nun blieben nur die zweihundert Soldaten der
Weitere Kostenlose Bücher