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Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Kandari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tracy Schoch
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herab.
    „Du solltest hier nicht herumstehen, mein Junge. Das ist gefährlich.“
    Stirnrunzelnd sah sie zu ihm auf. Er war nicht so alt, wie sie zunächst gedacht hatte. Das graue Haar und seine dünne, gebeugte Gestalt hatten sie getäuscht.
    „Wie meinst du das?“, zu spät fiel ihr ein, dass sie so tief wie möglich sprechen musste. Sie hustete bevor sie mit rauer, leiser Stimme fragte: „Und wer bist du eigentlich?“
    Der Alte runzelte die Stirn: „Du bist noch nicht lange in der Stadt, oder? Die Armee rekrutiert jeden, der eine Waffe auch nur halten kann. Wo warst du, dass du das nicht weißt?“
    Rowena murmelte etwas Nichtssagendes. Sie war es nicht gewöhnt, dass man in diesem abschätzigen Tonfall mit ihr sprach, und es verwirrte sie.
    „Wie heißt du eigentlich, Kleiner?“
    „Row-“, sie unterbrach sich. Sie konnte ihm unmöglich ihren richtigen Namen nennen. „Ruven“, sagte sie schließlich, „mein Name ist Ruven.“
    „Freut mich“, er schüttelte ihre Hand und ihr fiel auf, dass er bei Weitem nicht so verwahrlost war, wie sie zuerst gedacht hatte, „ich bin Xarat. Und nun lass dir von einem alten Mann einen Rat geben. Ein hübscher Junge wie du würde keine drei Tage bei der Armee überleben. Also verschwinde hier und gehe nie wieder allein und derart sorglos durch die Straßen.“
    Plötzlich weckte eine Bewegung auf dem Marktplatz seine Aufmerksamkeit. Eine Gruppe Soldaten ritt über den Platz und die Menschen sprangen erschrocken vor ihnen zur Seite.
    „Lauf weg, Kleiner. Vielleicht erwischen sie dich nicht.“
    Verwirrt befolgte Rowena seinen Rat. Sie rannte, so schnell sie konnte, im Zickzack durch das Labyrinth von Häusern und Straßen. Schließlich kehrte sie in der Abenddämmerung in den Palast zurück.
    In ihrem Zimmer angekommen zog sie sich noch immer zitternd um. Letztendlich, überlegte sie, als sie zum Abendessen in den unteren Teil des Schlosses ging, war ihr Ausflug ein Erfolg gewesen. Ihre Verkleidung war gut genug, um auch einer näheren Betrachtung standzuhalten, und jetzt wusste sie überdies, wie sie in die Armee gelangen konnte.
     
    Inzwischen neigte sich der zwanzigste Tag des Monats seinem Ende zu. Die Sonne war bereits untergegangen und das letzte Dämmerlicht erhellte die Wüste. Jetzt wirbelte der allabendliche Wind den Sand auf und beschränkte die Sicht auf etwa zwanzig Schritte.
    An diesem Tag, dem fünften ihrer Wanderung durch die Wüste, hatten Merla, Larenia und Arthenius den Flusslauf, dem sie bisher gefolgt waren, verlassen und waren tiefer in die endlose Einöde Hamadas vorgedrungen. Seit dem Nachmittag hatte Merla, die noch immer voranging, ihr Tempo beschleunigt und nun liefen sie schon eine Weile stetig bergauf. Allerdings war dies bisher der einzige Unterschied zu den vier vorhergehenden Tagen. Langsam begann Arthenius, an Merlas Orientierungsvermögen zu zweifeln. Er überlegte bereits, wie er sie, ohne vorwurfsvoll zu klingen, danach fragen konnte, als sie auf dem höchsten Punkt der Düne stehen blieb. Verwundert sah er von ihr zu Larenia, die tief in Gedanken versunken mit leerem Blick und ohne viel von ihrer Umgebung zu bemerken neben ihm hertrottete. Endlich blieben sie bei Merla stehen und diese deutete wortlos auf die Wüstenlandschaft vor ihnen. Einen Augenblick lang blinzelte Arthenius verwirrt, doch dann wechselte sein Gesichtsausdruck von Verwirrung zu Verblüffung und schließlich zu atemlosen Staunen. Vor ihnen lag, vom Sand halb verborgen und im grauen Licht der Abenddämmerung nur schemenhaft zu erkennen, das Ziel ihrer Reise. Mit einem breiten Lächeln drehte er sich zu Larenia um, die noch immer mit niedergeschlagenen Augen neben ihm stand.
    „Larenia?“
    Plötzlich hob sie den Kopf und mit einer Bewegung, die so schnell war, dass man ihr kaum folgen konnte, zog sie ihren Dolch. Erst als Merla erschrocken zurücksprang und Arthenius ohne die geringste Spur von Beunruhigung ihr Handgelenk festhielt, erinnerte sie sich an ihre Umgebung. Langsam entspannte sich ihre Haltung.
    „Anaiedoro“, sagte Arthenius leise mit seiner warmen, weichen Stimme, „wir haben es geschafft, Larenia.“
    Sie folgte seinem Blick und ein sanftes Lächeln glitt über ihr Gesicht. Von Anaiedoro war im schnell verblassenden Licht und durch den Sandsturm kaum mehr als ein geisterhafter Schatten zu sehen. Die unregelmäßigen Umrisse der dicht aneinanderstehenden Häuser, die von Wind und Alter gezeichnet waren, ragten dunkel in den Abendhimmel und

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