Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Beerdigung wurde ich zu meinem Vater gerufen. Er empfing mich im Ratssaal und entgegen meiner Erwartung war er nicht allein.
Schon bevor ich die Halle betrat, hörte ich laute Stimmen. Neugierig verlangsamte ich meine Schritte.
„Ihr müsst vor allem Arida befestigen. Hier wird der erste Schlag fallen und er wird entsetzlich sein.“
Der Sprecher war eines der Gildemitglieder, auch wenn ich nicht wusste, welches.
„Wir sind ein friedliches Volk. Arida hat kaum Befestigungsanlagen und der Hafen ist offen und schwer zu verteidigen. Außerdem haben die Brochonier Druiden. Wie sollen wir uns gegen Magie schützen?“ Diese Worte, leise und verzweifelt, stammten von meinem Vater und er drückte damit genau das aus, was auch ich fürchtete. „Und was werdet ihr tun? Werdet ihr nicht einfach dahin zurückkehren, woher ihr gekommen seid?“
Erschrocken blieb ich vor der Tür stehen. Bisher hatte ich noch nicht einmal daran gedacht, dass die Gilde uns verlassen könnte.
Eine andere, helle Stimme, die auf ihre Art gefährlich wirkte, etwa so, als würde man Metall gegen Metall schlagen, erklang. Larenia.
„Dieser Krieg betrifft uns alle, nicht nur euer Volk. Außerdem könnten wir nicht zurückkehren, woher wir gekommen sind, nicht einmal, wenn wir es wollten. Also befestigt eure Stadt und lasst die Magie unsere Sorge sein.“
An dieser Stelle entschloss ich mich, den Saal zu betreten.
Mein Vater bemerkte meine Anwesenheit zuerst. Er blickte zu mir auf und schenkte mir ein freundliches, aufmunterndes Lächeln. Wäre das noch möglich gewesen, hätte Juliens Anblick mich erschreckt. Über Nacht schien er um viele Jahre gealtert zu sein. Noch gestern war er ein stolzer König gewesen, der weise und gerechte Herrscher über ein großes und glückliches Volk. Heute war er ein gebrochener Mann, dem man alles genommen hatte. Selbst wenn wir den Krieg gewinnen sollten, das begriff ich plötzlich, wäre das Werk seines Lebens zerstört.
„Ich freue mich, dass du gekommen bist, mein Sohn.“
Ich lächelte ihm zu, ermutigend, wie ich hoffte. Ich sah mich kurz im Saal um und stellte erstaunt fest, dass alle Gildemitglieder anwesend waren. Doch für nähere Betrachtungen blieb mir keine Zeit, denn mein Vater sprach bereits weiter: „Ich habe dich rufen lassen, um dich um etwas zu bitten. Du weißt, dass wir Boten in alle Teile des Reiches schicken. Doch die Nachrichten, die wir überbringen, werden viele Familien ruinieren und manche einträgliche Geschäfte zerstören. Ich kann es dem Volk nicht befehlen. Ich kann nur hoffen, dass sie bereit sind zu helfen, da dies unsere einzige Möglichkeit ist. Es ist zwar nicht länger deine Aufgabe, königlicher Bote zu sein. Dennoch wollte ich dich nach Aquanien schicken. Du bist den Menschen dort bekannt und deine Anwesenheit wird sie mehr als alles andere von unserer Notlage überzeugen.“
Benommen nickte ich. Natürlich würde ich gehen, wenn mein Vater es wünschte. Und ich kannte seine Sorge um unser Volk. Das war es, was ihn zu einem so großen König machte.
„Sehr gut. Dann werde ich dich begleiten.“
Erstaunt sah ich Larenia an. Das war das Letzte, womit ich gerechnet hatte. Und anscheinend war ich nicht der Einzige, den diese Ankündigung überraschte. Pierre hatte bereits den Mund geöffnet, um zu protestieren, doch ein einziger Blick ihrer dunkelblauen Augen brachte ihn zum Verstummen.
Es wurden danach noch andere Dinge besprochen, aber daran erinnere ich mich kaum noch. Mit meinen Gedanken war ich bereits unterwegs durch das Fürstentum Aquanien. Ich weiß nicht, was ich bei dieser Vorstellung empfand, damals war ich wohl einfach nur überrascht. Jetzt jedoch ist mir klar, dass dieser Auftrag mich hauptsächlich von Arida fernhalten sollte. Mein Vater wünschte mich weit weg vom Ort des Geschehens. Auch wenn es letztendlich anders kam, rührt mich noch heute seine Sorge um meine Sicherheit.
Jedenfalls verließ ich bald darauf die Ratshalle, um mich auszuruhen. Und am nächsten Morgen brach ich noch vor Tagesanbruch auf.
„Larenia!“, Pierre stürmte hinter ihr polternd die Freitreppe des Zauberturms herunter, „Larenia, warte!“
Nach ein paar weiteren Schritten hatte er den unteren Treppenabsatz erreicht. Hier standen bereits Philipus, der die Zügel eines Pferdes hielt, und neben ihm Philipe mit einem Schwert in den Händen.
„Was soll denn das Ganze? Was hast du vor?“
Larenia, im grauen Morgenlicht kaum mehr als ein Schatten, drehte sich zu ihm um
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